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Gelebtes Berufsrecht

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Gespräch mit der scheidenden Präsidentin des Anwaltsgerichtshofes

Interview mit der Kollegin Frau Dr. Catharina Kunze, bis vor kurzem Präsidentin des Anwaltsgerichtshofes Berlin

Artikel von Rechtsanwalt Thomas Röth, erschienen im Berliner Anwaltsblatt (2016, S. 218)

Die Kollegin Kunze ist seit 1979 Rechtsanwältin in Berlin und hat seit 1994 als Richterin beim Anwaltsgerichtshof in Berlin gearbeitet. Zunächst war sie Berichterstatterin und wurde dann 2003 Vorsitzende des I. Senates und Präsidentin des Anwaltsgerichtshofes Berlin. Ende März 2016 beendete sie ihre Tätigkeiten beim AGH. Diese langjährige berufsrechtliche Richtertätigkeit war Anlass für das Berliner Anwaltsblatt – vertreten durch RA Thomas Röth – mit ihr ein Gespräch über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zu führen. 

Vorab

Der Anwaltsgerichtshof ist für disziplinarrechtliche Ahndung (Verweis, Geldbuße, Tätigkeitsverbot …) in zweiter Instanz und für öffentlich-rechtliche Angelegenheiten (Nichterteilung der Zulassung, Widerruf der Zulassung, Nichtverleihung von Fachanwaltstiteln …) in erster Instanz zuständig. Beide Senate des AGH sind jeweils mit sechs Berichterstattern und einer Vorsitzenden besetzt. Zu Gericht sitzen immer fünf Richter (die Vorsitzende, zwei Berufsrichter und zwei Anwälte).

Kollegin Kunze teilte mit, dass sie ihre berufsrichterliche Tätigkeit immer sehr spannend und erfahrungsreich gefunden habe. Der Anwaltsgerichtshof, bei dem sie im I. Senat von Anfang an tätig war, hatte pro Senat 15–20 Fälle im Jahr. Hier sei ein Hinweis auf die berufsrechtliche Statistik im RAK-Jahresbericht für 2015, Seite 48 f., und die Besetzung der Senate auf der Website der RAK erlaubt. Von diesen Fällen sind ca. 95 Prozent öffentlich-rechtlich und 5 Prozent disziplinarrechtlich.

Schwerpunkt im öffentlich-rechtlichen Teil ist der Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfalls. Bei Zulassungsfragen war der häufigste Vorwurf, dass wohl Disziplinar- bzw. Strafverfahren verschwiegen worden sein sollen. In den Widerrufsverfahren wurde durch die BGH-Rechtsprechung, nämlich dass es nur auf den letzten behördlichen Entscheidungszeitpunkt ankomme, viel erleichtert, da die Zwischenzeit ab der letzten behördlichen Entscheidung nun nicht mehr entscheidungsrelevant ist.

In den disziplinarrechtlichen Angelegenheiten war es schwierig, bei den vielen Sanktionsmöglichkeiten eine (abstrakte) Regelhaftigkeit zu finden, zumal der BGH hier wenig vorgibt und die übrige Rechtsprechung als auch die Kommentare sehr einzelfallbezogen sind.

Es sei für sie schon eine Herausforderung gewesen, plötzlich Vorsitzende Richterin zu sein und eine Verhandlung als Richterin zu leiten. In den öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gilt über die BRAO die VwGO und in den disziplinarrechtlichen über die BRAO die StPO. Gerade Literatur zur Verhandlungsleitung nach der StPO sei ihrer Ansicht nach rar gesät und oft käme es einem „learning-by-doing“ gleich. Die VwGO-Literatur sei hierbei besser. Den Wechsel von der anwaltlichen auf die richterliche Perspektive fand sie nicht schwierig. Die Berufsrichter bekommen für diese Tätigkeit kein Zusatzentgelt und auch keinen sonstigen Ausgleich, sondern werden wohl mit „Macht sich gut im Lebenslauf“ durch die Kammergerichtsverwaltung angeworben. Auch die Berufsrichter müssen im Turnus votieren. Sie selbst fand den I. Senat einen sehr toleranten Senat. Sie konnte keinerlei Unterschiede zwischen den Berufs- und den Rechtsanwaltsrichtern im Hinblick auf ihre Einschätzungen feststellen. Manchmal war es sogar so, dass die Berufsrichter milder waren als die Anwaltsrichter. Vielleicht wird man ja, wenn man selbst Anfechtungen als Anwalt erfolgreich widerstand, strenger. Frau Kunze war gelegentlich erstaunt darüber, welchen Respekt der Anwaltsstand bei den Berufsrichtern genießt und welches Verständnis sie für diesen Beruf aufbrachten.

Sehr entlastend trotz ihrer eigenen Überlastung sei die tolle Geschäftsstelle beim Kammergericht gewesen, die unter anderem neben zwei Strafsenaten für die gesamte weitere Berufsgerichtsbarkeit (Notare, Steuerberater etc.) dort zuständig ist. Die Verfahren im I. Senat dauerten ab Eingang von 6 bis 12 Monaten. Viel hängt hier gerade bei den öffentlich-rechtlichen Verfahren vom Berichterstatter ab. Mehr als zwei Sachen wurden im I. Senat pro Verhandlungstag nie terminiert, um einer Überlastung zu entgehen. Die Richter hätten die Voten immer sämtlich gelesen und man habe sich am Verhandlungstag vorher getroffen, um darüber zu sprechen.

Leider ist in vielen Prozessen festzustellen, dass von den Betroffenen nach der Methode „Kopf-in-den-Sand-stecken“ verfahren wird. Viele Kollegen erscheinen gerade in den disziplinarrechtlichen Fällen gar nicht oder erscheinen zwar, jedoch ohne (geeignete) Vertretung.

Eine wesentliche Erkenntnis für sie war, wie wichtig eine mündliche Verhandlung und rechtliches Gehör sind. Gerade im Zivilrecht ist man ja eher schriftsatzgeneigt. In den Verhandlungen wurden papierene Akten anschaulich, Motive, Emotionen konnten geklärt/erfahren werden und dies führte oft dazu, dass ein tieferes Verständnis möglich wurde.

Insgesamt hat sie die Arbeit als Richterin am Anwaltsgerichtshof wegen folgender Dinge geschätzt:

  1. Die hervorragende Zusammenarbeit im und zwischen den Senaten, 
  2. die Erfahrung des Richterseins (beide Seiten anhören und am Ende dann doch entscheiden, wenn ein Vergleich nicht möglich ist),
  3. den einmal jährlich stattfindenden Erfahrungsaustausch mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Anwaltsgerichtshöfe der anderen Bundesländer.

Gewünscht hätte sie sich während ihrer Amtszeiten

  • eine bessere Ausstattung mit Kommentaren und dergleichen für die Richter,
  • in manchen Jahren, dass die Vertreter der Rechtsanwaltskammer etwas freiere Hand für einen Vergleichsabschluss gehabt hätten,
  • eine bessere Veröffentlichungspraxis der berufsrechtlichen Rechtsprechung,
  • klarere Grundtaxen in der Sanktionszumessung im disziplinarrechtlichen Teil.

Sie wünscht ihrer Nachfolgerin gute Erfahrungen und eine glückliche Hand.

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