Die Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB
Liebert & Röth Rechtsanwälte, wir machen Baurecht in Berlin & bundesweit
Die Bauhandwerkersicherung ist ein mächtiges Instrument im Bauvertragsrecht, das vielen Auftraggebern unbekannt ist, bis sie damit konfrontiert werden.
Dabei kann die Nichtbeachtung dieser gesetzlichen Regelung erhebliche finanzielle und rechtliche Konsequenzen haben.
Als Rechtsanwalt für Baurecht erkläre ich Ihnen in diesem Artikel umfassend, was Sie über die Bauhandwerkersicherung wissen müssen.
Was ist eine Bauhandwerkersicherung?
Die Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB ist eine gesetzlich verankerte Sicherheitsleistung, die Bauunternehmer von ihren Auftraggebern verlangen können. Sie dient dazu, das Vorleistungsrisiko des Unternehmers abzusichern, da dieser oft erhebliche Materialien und Arbeitsleistungen erbringt, bevor er dafür bezahlt wird.
Der Zweck der Regelung ist klar: Sobald Materialien in ein Bauwerk eingebaut werden, gehen sie in das Eigentum des Grundstückseigentümers über und können vom Auftragnehmer nicht mehr entfernt werden. Wird der Werklohn nicht gezahlt oder gerät der Auftraggeber in die Insolvenz, stehen die Unternehmer oft mit leeren Händen da.
Die Bauhandwerkersicherung schafft hier einen wichtigen Ausgleich und stärkt die Position der ausführenden Betriebe erheblich.
Rechtliche Grundlagen und Entwicklung
Die Bauhandwerkersicherung ist seit dem 1. Januar 2018 in § 650f BGB geregelt.
Wichtig zu wissen: Die Regelung ist zwingend und unabdingbar. Das bedeutet, dass Vertragsklauseln, die die Bauhandwerkersicherung ausschließen oder einschränken, unwirksam sind. Dies gilt sowohl für Allgemeine Geschäftsbedingungen als auch für individuell ausgehandelte Vereinbarungen.
Wer hat Anspruch auf eine Bauhandwerkersicherung?
Anspruchsberechtigt sind grundsätzlich alle Unternehmer, die aufgrund eines Werkvertrages Arbeiten an Bauwerken, Außenanlagen oder Teilen davon ausführen. Dazu gehören:
- Bauhandwerker und Bauunternehmen aller Größenordnungen
- Subunternehmer gegenüber Hauptunternehmern
- Hauptunternehmer gegenüber Generalunternehmern
- Architekten und Ingenieure für ihre Planungsleistungen (über § 650q Abs. 1 BGB)
- Sonderfachleute wie Statiker oder Bausachverständige
Keinen Anspruch haben dagegen:
- Reine Lieferanten von Baustoffen oder Bauteilen
- Gerüstbauer (da sie meist keine substanzverändernden Arbeiten durchführen)
- Unternehmer, die bereits durch eine Sicherungshypothek vollständig gesichert sind
Wer muss die Sicherheit stellen? - Verpflichtete und Ausnahmen
Grundsätzlich muss derjenige die Bauhandwerkersicherung stellen, der als Besteller den Werkvertrag abgeschlossen hat. Dies ist nicht zwingend der Grundstückseigentümer, sondern der unmittelbare Vertragspartner des Unternehmers.
Ausnahmen von der Sicherungspflicht
Der Gesetzgeber hat zwei wichtige Ausnahmen vorgesehen:
1. Öffentliche Auftraggeber Keine Sicherheit müssen leisten:
- Juristische Personen des öffentlichen Rechts (Bund, Länder, Gemeinden)
- Öffentlich-rechtliche Sondervermögen
- Einrichtungen, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren unzulässig ist
Achtung: Unternehmen in privater Rechtsform sind auch dann sicherungspflichtig, wenn sie mehrheitlich der öffentlichen Hand gehören (z.B. Stadtwerke GmbH, kommunale Wohnungsbaugesellschaften, etc.).
2. Verbraucher bei speziellen Vertragstypen Verbraucher müssen keine Sicherheit stellen, wenn es sich um:
- Verbraucherbauverträge nach § 650i BGB oder
- Bauträgerverträge nach § 650u BGB handelt (alles zu Bauträgerverträgen finden Sie hier: Bauträgerrecht)
Diese Ausnahme gilt jedoch nicht, wenn ein zur Verfügung über die Finanzmittel ermächtigter Baubetreuer das Bauvorhaben betreut.
Höhe der Sicherheitsleistung - Berechnung und Faktoren
Die Höhe der Bauhandwerkersicherung orientiert sich am voraussichtlichen Vergütungsanspruch des Unternehmers. Die Berechnung erfolgt nach folgender Formel:
Sicherungshöhe = Gesamtvergütung + 10% Nebenforderungen - bereits geleistete Zahlungen
Berücksichtigungsfähige Positionen
- Vertraglich vereinbarte Grundvergütung
- Nachträge und Zusatzaufträge
- Nebenforderungen (pauschal 10% des Vergütungsanspruchs)
- Bereits erbrachte, aber noch nicht bezahlte Leistungen
Nicht berücksichtigungsfähig
- Bereits geleistete Abschlags- oder Vorschusszahlungen
- Strittige Nachträge (hier ist Vorsicht geboten)
- Unstreitige oder rechtskräftig festgestellte Gegenansprüche des Bestellers
Praxisbeispiel: Ein Bauunternehmen hat einen Auftrag über 100.000 Euro. Davon wurden bereits 30.000 Euro bezahlt. Die Sicherheit beträgt: (70.000 Euro + 7.000 Euro Nebenforderungen) = 77.000 Euro.
Überhöhtes Sicherungsverlangen
Auch wenn der Unternehmer eine zu hohe Sicherheit verlangt, ist das Verlangen nicht unwirksam. Der Bundesgerichtshof hat entschieden (BGH VII ZR 82/99), dass der Besteller die Sicherheit in der gerechtfertigten Höhe anbieten muss, wenn diese für ihn feststellbar ist und der Unternehmer die geringere Sicherheit akzeptiert.
Art und Form der Sicherheitsleistung
Der Auftraggeber kann die Art der Sicherheit grundsätzlich frei wählen. In der Praxis haben sich verschiedene Formen etabliert:
Übliche Sicherungsformen
- Bankbürgschaft (häufigste Form in der Praxis)
- Auszahlungsgarantie eines Kreditinstituts oder Kreditversicherers
- Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren beim zuständigen Amtsgericht
- Verpfändung von Forderungen aus dem Bundesschuldbuch
- Bestellung von Hypotheken an inländischen Grundstücken
Anforderungen an die Sicherheit
Die Sicherheit muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
- Bezug auf eine konkrete Vergütungsforderung
- Unmittelbarer Zahlungsanspruch gegen den Sicherungsgeber
- Insolvenzfestigkeit
- Begebung durch ein zugelassenes Kreditinstitut
- Vollständige Abdeckung des Ausfallrisikos
Geltendmachung der Bauhandwerkersicherung
Die Bauhandwerkersicherung kann vom Unternehmer zu jedem Zeitpunkt ab Vertragsschluss verlangt werden. Es bedarf keiner besonderen Voraussetzungen oder einer konkreten Gefährdung des Vergütungsanspruchs.
Formale Anforderungen
Keine besondere Form erforderlich, aber aus Beweisgründen empfiehlt sich:
- Schriftliche Aufforderung per Einwurf-Einschreiben
- Genaue Angabe der geforderten Sicherungshöhe
- Verweis auf § 650f BGB
- Setzung einer angemessenen Frist
Angemessene Frist
Die Rechtsprechung hält eine Frist von 7 bis 10 Werktagen für angemessen. Diese kurze Frist wird damit begründet, dass Auftraggeber bereits bei Vertragsschluss auf eine mögliche Sicherungsaufforderung vorbereitet sein müssen. Die Frist gilt auch bei Großprojekten und kann nicht verlängert werden, nur weil die Sicherungssumme hoch ist.
Folgen bei Nichtstellung der Sicherheit - Rechtsmittel des Unternehmers
Stellt der Auftraggeber innerhalb der gesetzten Frist keine ausreichende Sicherheit, stehen dem Unternehmer verschiedene Rechtsmittel zur Verfügung:
Leistungsverweigerungsrecht
Der Unternehmer kann sofort seine Arbeiten einstellen oder mit der Ausführung gar nicht erst beginnen. Eine weitere Nachfrist oder Androhung ist nicht erforderlich.
Kündigungsrecht
Der Unternehmer kann den Vertrag außerordentlich kündigen. Auch hier bedarf es keiner weiteren Nachfrist oder Androhung.
Schadenersatzanspruch
Bei einer Kündigung wegen nicht gestellter Sicherheit steht dem Unternehmer ein umfassender Schadenersatzanspruch zu:
Vergütung für erbrachte Leistungen
- Anteilige Vergütung nach vertraglich vereinbarten Preisen
- Erstattung der Auslagen
Vertrauensschaden für nicht erbrachte Leistungen
- Gesetzliche Vermutung: 5% der Restvergütung
- Nachweis eines höheren Schadens möglich
- Anrechnung ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs
Der Bundesgerichtshof (BGH VII ZR 34/23) hat klargestellt, dass bei der Berechnung der Sicherheitshöhe nach einer Kündigung bereits der schlüssige Vortrag des Unternehmers zur Höhe der Vergütung ausreichend ist.
Besonderheiten für Architekten und Ingenieure
Architekten und Ingenieure können über § 650q Abs. 1 BGB ebenfalls eine Bauhandwerkersicherung verlangen. Hier gibt es einige Besonderheiten zu beachten:
Anwendungsbereich
- Planende Architekten können auch ohne bauliche Umsetzung ihrer Pläne Sicherheit verlangen
- Sonderfachleute wie Statiker oder Gutachter sind ebenfalls berechtigt
- Sub-Planer haben Ansprüche gegen Generalplaner
Abgrenzung zur Sicherungshypothek
Im Gegensatz zur Sicherungshypothek nach § 650e BGB:
- Sichert die gesamte vereinbarte Vergütung ab (nicht nur erbrachte Leistungen)
- Erfordert kein Grundstückseigentum beim Auftraggeber
- Kann nicht vertraglich ausgeschlossen werden
Vorsicht bei Rechtsberatung
Der Bundesgerichtshof (BGH VII ZR 190/22) hat entschieden, dass Architekten für fehlerhafte unerlaubte Rechtsberatung haften. Architekten dürfen nur im Rahmen ihres Berufsbildes rechtlich beraten und sollten bei Fragen zur Bauhandwerkersicherung, die das Verhältnis zwischen dem Bauherrn und Dritten betreffen, an einen Rechtsanwalt verweisen.
Praktische Tipps und Handlungsempfehlungen
Für Auftraggeber
Vorbereitung ist entscheidend:
- Bereits bei Vertragsschluss auf mögliche Sicherungsanforderungen vorbereitet sein
- Bonitätsbewertung regelmäßig prüfen und pflegen
- Kontakt zu spezialisierten Bürgschaftsversicherern aufbauen
- Bei Subunternehmer-Beauftragung besonders aufmerksam sein
Bei Sicherungsaufforderung:
- Nicht ignorieren oder aussitzen - kurze Fristen beachten
- Rechtzeitig anwaltlichen Rat einholen
- Prüfung der geforderten Sicherungshöhe
- Schnelle Reaktion zur Vermeidung von Baustillstand
Für Unternehmer
Strategische Überlegungen:
- Sicherung so früh wie möglich fordern
- Nicht bis zum Auftreten von Zahlungsproblemen warten
- Bei Subunternehmer-Tätigkeit besonders wichtig
- Schriftliche Aufforderung mit klaren Fristen
Durchsetzung:
- Bei Nichtstellung konsequent Rechte wahrnehmen
- Leistungseinstellung klar kommunizieren
- Baustellenstillstand dokumentieren
- Anwaltliche Beratung für Kündigungsausspruch
Fazit - Die Bauhandwerkersicherung als effektives Schutzinstrument
Die Bauhandwerkersicherung ist ein mächtiges Instrument des Bauvertragsrechts, das sowohl von Auftraggebern als auch von Auftragnehmern ernst genommen werden sollte. Für Unternehmer bietet sie einen effektiven Schutz vor Zahlungsausfällen, während Auftraggeber sich auf erhebliche finanzielle Belastungen einstellen müssen.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
- Die Sicherung kann ab Vertragsschluss ohne besonderen Anlass verlangt werden
- Vertragsklauseln, die die Sicherung ausschließen, sind unwirksam
- Die Fristen für die Sicherungsstellung sind sehr kurz (7-10 Tage)
- Bei Nichtstellung drohen Baustillstand, Kündigung und Schadenersatz
- Auch Architekten und Ingenieure können die Sicherung verlangen
Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten mit steigenden Insolvenzzahlen im Baugewerbe gewinnt die Bauhandwerkersicherung zunehmend an Bedeutung. Eine frühzeitige rechtliche Beratung kann sowohl für Auftraggeber als auch für Auftragnehmer kostspielige Auseinandersetzungen vermeiden helfen.
Als Rechtsanwälte für Baurecht stehen wir Ihnen gerne für alle Fragen rund um die Bauhandwerkersicherung zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung zu Ihrem konkreten Fall.
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