Der Commercial Court am Kammergericht Berlin nimmt seine Arbeit auf
Ein spezialisierter Senat für Bau- und Architektenrecht
Seit dem 1. April 2025 können Bauprozesse ab einem Streitwert von 500.000 Euro an dem neu eingerichteten Commercial Court am Kammergericht verhandelt werden. Der erste Commercial Court in Berlin ist ein auf Bau- und Architektenrecht spezialisierter Senat des Kammergerichts, den die Beteiligten eines Bauvorhabens in ganz Deutschland und auch im Ausland bei Streitigkeiten anrufen können. Geleitet wird der Commercial Court vom Vorsitzenden Richter am Kammergericht Björn Retzlaff.
Das Justizstandort-Stärkungsgesetz als Ausgangspunkt
Am 1. April 2025 ist das „Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit“ in Kraft getreten. Damit hat der Gesetzgeber für die Bundesländer die Möglichkeit geschaffen, an den Oberlandesgerichten spezialisierte Senate – eben jene Commercial Courts – zu schaffen.
Mehrere Bundesländer – unter anderem Hamburg, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin – haben bisher von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Details finden sich zunächst in §§ 184a, 184b GVG und die ZPO wurde durch spezielle verfahrensrechtliche Vorschriften zu den Commercial Courts in den §§ 610 ff. ZPO ergänzt.
Regelung der Zuständigkeit der Commercial Courts liegt bei den Ländern
Für welche Sachgebiete ein Commercial Court zuständig sein soll, legen die Länder in ihren Rechtsverordnungen fest.
Vorgesehen werden kann die Zuständigkeit gemäß § 119b Abs. 1 GVG für folgende Streitigkeiten:
- Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen mit Ausnahme von solchen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts sowie Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb,
- Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen,
- Streitigkeiten zwischen Gesellschaften und Mitgliedern des Leistungsorgans oder Leistungsaufsichtsrates.
Zielsetzung des Gesetzgebers
Der Gesetzgeber erhofft sich von seiner Initiative eine höhere Attraktivität und Akzeptanz der deutschen Gerichte, auch bei internationalen und komplexen Rechtsstreitigkeiten.
Hierfür hat er die bewährten Strukturen der staatlichen Gerichtsbarkeit mit gewissen Vorteilen privater Schiedsvereinbarungen kombiniert und hofft so auf die Schaffung eines attraktiven Hybridverfahrens.
Voraussetzung der Anrufung der Commercial Courts
Die Anrufung eines Commercial Courts ist grundsätzlich unter zwei Voraussetzungen möglich:
- Der Streitwert von mindestens 500.000,00 Euro wird erreicht und die jeweilige Streitigkeit muss in ihrem Gegenstand von der gesetzlich bestimmten Zuständigkeit des jeweiligen Commercial Courts umfasst sein.
- Die Parteien müssen zudem die Zuständigkeit des Commercial Courts vereinbart haben.
Verfahrensgrundsätze an den Commercial Courts
Das Verfahren an den Commercial Courts unterscheidet sich erheblich von herkömmlichen Gerichtsverfahren. Hier die wesentlichen Punkte:
- Die erstinstanzliche Zuständigkeit ist ab einem Streitwert ab 500.000,00 Euro gegeben, die Parteien können direkt das Oberlandesgericht anrufen und damit das Verfahren am Landgericht umgehen.
- Die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) ist gemäß § 614 ZPO zulassungsfrei.
- Das Verfahren kann auf Antrag vollständig in englischer Sprache geführt werden (§ 184a GVG).
- Zu Beginn des Verfahrens steht immer ein verpflichtender Organisationstermin zur Verfahrensplanung (§ 612 ZPO).
- Die Parteien können nach § 613 ZPO beantragen, dass während der Verhandlung oder während einer Beweisaufnahme ein mitlesbares Wortprotokoll angefertigt wird.
Zugangsvoraussetzungen und Verfahrensweg
Wie bereits ausgeführt, erfordert der Zugang zum Commercial Court grundsätzlich eine Einigung beider Parteien. Der Weg dorthin kann aber durchaus unterschiedlich erreicht werden. Die praktische Umsetzung dieser Anforderungen gestaltet sich damit auch flexibler, als dies im Gesetzgebungsverfahren vermutet worden war.
Gerichtsstandsvereinbarung: Die eleganteste Lösung ist, bereits in einer vertraglichen Vereinbarung eine Gerichtsstandsvereinbarung festzuschreiben. Diese kann sich entweder darauf beschränken, generell den Commercial Court als zuständiges Gericht zu bestimmen oder gezielt einen der eingerichteten Commercial Courts zu benennen. Auch nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarungen aus Anlass eines konkreten Streites sind denkbar.
Aber auch ohne eine derartige Vereinbarung ist es denkbar, den Commercial Court zu erreichen. Hier einige Möglichkeiten:
- Direktklage mit rügeloser Einlassung
Der Kläger kann seine Klage direkt beim Commercial Court erheben. Lässt sich der Beklagte in der Klageerwiderung rügelos darauf ein, wird der Commercial Court zuständig.
- Verweisung vom Landgericht
Der Kläger erhebt Klage beim zuständigen Landgericht und beantragt zugleich die Verweisung an einen Commercial Court. Stimmt der Beklagte zu, erfolgt die Verweisung.
- Initiative des Beklagten
Auch der Beklagte kann nach Zustellung einer Landgerichtsklage die Verweisung an den Commercial Court beantragen, wenn der Streitwert erreicht ist und der Kläger zustimmt.
Verfahrensablauf und Besonderheiten
Das Verfahren vor dem Commercial Court orientiert sich an bewährten schiedsverfahrensrechtlichen Elementen und bietet dadurch erhebliche Effizienzvorteile gegenüber herkömmlichen Gerichtsverfahren.
- Organisationstermin
Eine zentrale Erneuerung ist der verpflichtende Organisationstermin nach § 612 ZPO. Anders als bei herkömmlichen Verfahren steht dem Gericht hier kein Ermessen zu, der Termin muss durchgeführt werden. In diesem frühen Stadium können die Parteien zudem weitreichende Vereinbarungen treffen.
- Wortprotokoll statt Sitzungsprotokoll
Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien kann ein mitlesbares Wortprotokoll geführt werden. Dieses bringt erhebliche Vorteile bei der Dokumentation von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten, ein Aspekt, der gerade bei komplexen Bauprozessen von hohem Wert sein dürfte.
- Englisch als Verfahrenssprache
Auch die Möglichkeit vollständig englischsprachiger Verfahren stellt eine Revolution im Verfahrensrecht dar. Voraussetzung ist die ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung beider Parteien.
Ein rügeloses Einlassen in englischer Sprache reicht bereits aus. Allerdings kann auch in deutscher Sprache verfasste Klageerwiderung bereits als Rüge gegen die englische Verfahrenssprache gewertet werden.
„Die Möglichkeit vollständig englischsprachiger Verfahren stellt eine Revolution im Verfahrensrecht dar“
Bei englischsprachigen Verfahren entfallen daher:
Ø Übersetzungen englischsprachiger Urkunden,
Ø Dolmetscherkosten bei internationalen Zeugen,
Ø Kommunikationsbarrieren bei internationalen Sachverständigen.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nach § 184b GVG der BGH als Revisionsinstanz zwar das Verfahren auch in englischer Sprache führen kann. Er kann aber auch jederzeit anordnen, dass das Revisionsverfahren in deutscher Sprache weitergeführt wird oder Teile der Akte übersetzt werden müssen.
Zuständigkeitsbereich des Commercial Court Berlin
Der Commercial Court am Kammergericht ist speziell für das Bau- und Architektenrecht eingerichtet worden. Er kann somit angerufen werden bei baurechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert ab 500.000,00 Euro.
Dabei gelten auch die Körperschaften des öffentlichen Rechts als Unternehmer im Sinne des § 14 BGB, wenn diese privatrechtliche Bauverträge abschließen. Dies eröffnet dem Commercial Court Berlin ein weites Bestätigungsfeld bei öffentlichen Bauvorhaben.
Erfasst werden somit:
- Verfahren des einstweiligen Verfahrensschutzes (§ 650d BGB),
- selbständige Beweisverfahren,
- Architekten- und Ingenieurverträge,
- Generalunternehmerstreitigkeiten.
Zukunft der Commercial Courts
Detaillierte Zahlen oder Erfahrungsberichte zur Arbeit der Commercial Courts liegen naturgemäß nach einem knappen halben Jahr noch nicht vor. Aber das Oberlandesgericht Düsseldorf – an dem bereits drei spezialisierte Senate eingerichtet worden sind (Bau- und Architektenrecht, Versicherungsrecht, Gesellschaftsrecht sowie M&A-Auseinandersetzungen) –, meldet bereits den Eingang mehrerer Verfahren mit sehr hohen Streitwerten.
Wünschen wir dem Kammergericht und Herrn Retzlaff viel Erfolg mit dem neu eingerichteten Commercial Court. Vielleicht hat der Landesgesetzgeber auch den Mut, das Angebot am Kammergericht zu erweitern und so den Gerichtsstandort Berlin national und international zu stärken.
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