VOB/B - eine Einführung: Das sollten Auftraggeber und Auftragnehmer wissen
Liebert & Röth Rechtsanwälte, wir machen Baurecht in Berlin & bundesweit
Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) ist seit fast einem Jahrhundert das Rückgrat der deutschen Bauwirtschaft.
Als bewährtes Regelwerk bietet sie eine umfassende Grundlage für Bauverträge, birgt jedoch auch einige Fallstricke. Dieser Artikel liefert Ihnen als Auftraggeber oder Auftragnehmer eine fundierte Einführung in die VOB/B mit praxisnahen Hinweisen und aktueller Rechtsprechung.
1. Was ist die VOB/B: Geschichte und Bedeutung
Die VOB/B, vollständiger Titel: "Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen", wurde 1926 vom Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) geschaffen. Dieser paritätisch besetzte Ausschuss aus öffentlichen Auftraggebern und Auftragnehmern passt die VOB/B kontinuierlich an aktuelle Gegebenheiten an.
Die VOB besteht aus drei Teilen:
- VOB/A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauaufträgen
- VOB/B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen
- VOB/C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen
Während VOB/A und VOB/C teilweise eigenständige Bereiche abdecken, bildet die VOB/B das Herzstück der vertraglichen Regelungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer.
2. Rechtsnatur der VOB/B: AGB mit besonderer Privilegierung
Die VOB/B hat nach herrschender Meinung den Charakter von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).
Als solche wird sie nur Vertragsbestandteil, wenn ihre Geltung zwischen den Vertragsparteien vereinbart wird. Der Gesetzgeber privilegiert die VOB/B jedoch in § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB hinsichtlich der Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen, sofern sie:
- gegenüber einem Unternehmer oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts verwendet wird
- ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt in den Vertrag einbezogen wird
Wichtiger Hinweis: Diese Privilegierung gilt nicht für Verbraucherverträge! Hier unterliegen alle Klauseln der VOB/B einer vollständigen Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB.
3. VOB/B im Verhältnis zum BGB: Wesentliche Unterschiede
Die VOB/B ergänzt und modifiziert die gesetzlichen Regelungen des BGB. Wichtigster Unterschied ist die Gewährleistungszeit:
- BGB: 5 Jahre (in Ausnahmefällen 30 Jahre)
- VOB/B: 4 Jahre für Bauwerke, 2 Jahre für andere Bauleistungen (§ 13 Abs. 4 VOB/B)
Weitere wesentliche Abweichungen umfassen:
- Sonderregelung für Leistungsverzögerungen (§ 5 Abs. 4)
- Erweiterter Schadensersatz bei Behinderung (§ 6 Abs. 6)
- Besondere Abnahmeregelungen (§ 12)
- Einschränkung der Mängelrechte (§ 13)
- Vorrang der Mängelbeseitigung vor anderen Abhilfemöglichkeiten
4. Die Schlüsselparagraphen der VOB/B: Ein Überblick
Art und Umfang der Leistung (§ 1 VOB/B)
Die Leistung muss nach Art und Umfang vertraglich bestimmt werden. Als automatischer Vertragsbestandteil gelten die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (VOB/C).
Ausführungsfristen (§ 5 VOB/B)
- Verbindliche Fristen sind einzuhalten
- Ohne vereinbarte Fristen: Beginn innerhalb von 12 Werktagen nach Aufforderung
- Einzelfristen gelten nur als Vertragsfristen, wenn ausdrücklich vereinbart
Behinderung und Unterbrechung (§ 6 VOB/B)
- Unverzügliche schriftliche Anzeige der Behinderung erforderlich
- Schadensersatzanspruch bei Verschulden einer Partei
- Berücksichtigung der hindernden Umstände nur bei ordnungsgemäßer Anzeige
Abnahme (§ 12 VOB/B)
- Abnahme innerhalb von 12 Werktagen nach Fertigstellung
- Unterschiedliche Abnahmearten: förmlich, konkludent, fiktiv
Mängelansprüche (§ 13 VOB/B)
- Vorrang der Mängelbeseitigung
- Kürzere Verjährungsfristen als im BGB
- Unterbrechung der Verjährung durch schriftliche Mängelrüge möglich
Abrechnung (§ 14 VOB/B)
- Prüfbare und übersichtliche Aufstellung der Leistungen
- Erforderliche Nachweise und Belege beifügen
Zahlung (§ 16 VOB/B)
- Regelungen zu Abschlagszahlungen
- Prüffristen und Zahlungsfristen
- Verzinsung von Werklohnforderungen
5. Nachtragsmanagement: Geänderte und zusätzliche Leistungen (§ 2 VOB/B)
Ein komplexer Bereich mit hoher Streitanfälligkeit. Der BGH hat seine Rechtsprechung zu Nachträgen grundlegend geändert:
Geänderte Leistungen (§ 2 Abs. 5 VOB/B)
- Neuer Preis bei Änderung der Grundlagen
- Vereinbarung soll vor Ausführung getroffen werden
- BGH-Rechtsprechung: Abrechnung auf Basis tatsächlich erforderlicher Kosten statt Urkalkulation
Zusätzliche Leistungen (§ 2 Abs. 6 VOB/B)
- Anspruch auf besondere Vergütung
- Ankündigung vor Ausführung erforderlich
- Auftraggeber muss über Wunsch der zusätzlichen Leistung entscheiden können
Mengenabweichungen (§ 2 Abs. 3 VOB/B)
- Bis 10% Abweichung: Einheitspreis bleibt unverändert
- Über 10% Abweichung: Neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr-/Minderkosten
6. Häufige Fallstricke bei VOB/B-Verträgen
Rechtsanwalt Frederic Jürgens, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, identifiziert acht kritische Punkte:
- Unklarer Leistungsumfang: Fehlende oder unvollständige Leistungsbeschreibungen
- Vernachlässigte Bedenken- und Hinweispflichten: Unterlassene Mängelmeldungen führen zur Mithaftung
- Fehlerhafte Nachtragsabwicklung: Unzureichende Dokumentation und falsche Preisermittlung
- Ungenügende Behinderungsanzeigen: Fehlende bauablaufbezogene Darstellung
- Unwirksame Vertragsstrafen: Mangelnde Anpassung bei Bauablaufsänderungen
- Rechtsunsichere Abnahmeklauseln: Ausschluss gesetzlicher Abnahmefiktionen
- Missverständnisse bei Mängelrechten: Keine Mängelrechte vor Abnahme (BGH-Rechtsprechung)
- Fehlerhafte Kündigungen: Unberechtigte Kündigungen mit gravierenden Folgen
7. Textübergabe bei unerfahrenen Unternehmern
Das OLG Bamberg hat in seinem Urteil vom 24.08.2023 (Az. 12 U 58/22) entschieden: Bei einem im Baubereich nicht bewanderten Unternehmer reicht die bloße Vereinbarung der VOB/B-Geltung nicht aus. Der Text muss tatsächlich übergeben werden!
Dieser Grundsatz gilt jedoch nur für Verbraucher, nicht für Unternehmer (§ 310 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Entscheidung des OLG Bamberg wird von der Rechtslehre kritisiert und als fehlerhaft angesehen.
8. Aktuelle Rechtsprechung: BGH und die VOB/B
Mängelrechte vor Abnahme
Der BGH hat klar entschieden: Keine Mängelrechte vor Abnahme! Die entsprechende VOB/B-Regelung (§ 4 Abs. 7 VOB/B) wurde für unwirksam erklärt. Dies gilt sowohl für reine BGB-Verträge als auch für VOB/B-Verträge.
Nachtragsvergütungen
Der BGH hat traditionelle Grundsätze gekippt: Die Vergütung für Nachträge berechnet sich nicht mehr auf Basis der Urkalkulation, sondern auf Grundlage der tatsächlich erforderlichen Kosten. Diese "Gamechanger"-Rechtsprechung betrifft:
- Mehrmengen (§ 2 Abs. 3 VOB/B)
- Geänderte Leistungen (§ 2 Abs. 5 VOB/B)
- Möglicherweise auch zusätzliche Leistungen (§ 2 Abs. 6 VOB/B)
9. Praxistipps für erfolgreiche VOB/B-Anwendung
Für Auftraggeber:
- Präzise Leistungsbeschreibungen erstellen
- Ordnungsgemäße Textübergabe sicherstellen
- Abnahmetermine einhalten
- Änderungen zeitnah kommunizieren
Für Auftragnehmer:
- Bedenken stets schriftlich mitteilen
- Behinderungen detailliert dokumentieren
- Nachträge rechtzeitig ankündigen
- Abnahme aktiv einfordern
Für beide Parteien:
- Lückenlose Dokumentation führen
- Anwaltliche Beratung bei komplexen Sachverhalten
- Regelmäßige Fortbildung zu aktueller Rechtsprechung
- Hybride Verträge mit VOB/B und BGB-Elementen erwägen
Fazit: Die VOB/B bleibt relevant, erfordert aber Expertise
Die VOB/B bleibt trotz ihrer fast 100-jährigen Geschichte ein praxisrelevantes und bewährtes Regelwerk. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Rechtsprechung, dass viele traditionelle Annahmen überdacht werden müssen. Eine professionelle Vertragsgestaltung unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtslage sowie eine sorgfältige Bauabwicklung sind heute wichtiger denn je.
Wer die VOB/B erfolgreich anwenden möchte, sollte nicht nur ihre Regelungen kennen, sondern auch ihre Grenzen und Fallstricke verstehen. Nur so lassen sich die Vorteile dieses bewährten Regelwerks voll ausschöpfen, während die Risiken minimiert werden.
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