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Grundlegendes zur Interessenkollision (IK) für den praktischen Umgang

1. Wo ist die IK geregelt?

  1. § 43a Abs. 4 bis 6 BRAO
  2. § 3 BORA
  3. § 356 StGB
  4. §§ 45,43a Abs. 6, 59d Abs. 3 und 59 q BRAO

2. Was ist die Interessenkollision?

  1. Die Grundregel lautet: „Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat.“ (§ 43a Abs.4 Satz 1 BRAO)
  2. Weitere Regelungen (§ 43 a Abs. 4 Satz 2 ff BRAO) erstrecken das Verbot der IK dann auf die alte und eventuell neue Berufsausübungsgesellschaft (BAG) und die in den Berufsausübungsgesellschaften arbeitenden Kollegen/Gesellschafter anderer Profession (59 Abs. 3 und 59q BRAO) und auf Tätigkeiten des RA vorher als Referendar (43 a Abs. 5 BRAO), auf andere, nichtanwaltliche Tätigkeiten des betroffenen RA nach der IK (43 a Absatz 6) und auf Tätigkeiten in anderen juristischen Berufen des RA, der in der Regel vorher damit befasst war (45 BRAO).
  3. Die Interessenkollision wird auch Interessenwiderstreit oder Prävarikation genannt.

3. Was ist der Sinn und Zweck der unter 1.) angeführten Regelungen zur Interessenkollision?

Der Rechtsanwalt übt gemäß § 1 BORA „seinen Beruf frei, selbstbestimmt und unreglementiert aus. Diese Freiheitsrechte gewährleisten die Teilhabe des Bürgers am Recht. Seine Tätigkeit dient der Verwirklichung des Rechtsstaates. Als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten hat der Rechtsanwalt seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten, vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung, staatliche Machtüberschreitung zu sichern.“

Um diese Tätigkeit als Interessensvertretung im Rahmen der Gesetze ausschließlich für den Mandanten und damit die Verwirklichung des Rechtsstaates funktionsgerecht bewerkstelligen zu können, ist die Vermeidung von Interessenkollision wichtig. Schlagwortartig lassen sich folgende Zwecke für das Verbot der IK nennen:

  1. Sicherung des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten
  2. Die Wahrung der anwaltlichen Unabhängigkeit
  3. Die Wahrung der Geradlinigkeit anwaltlicher Berufsausübung im Interesse der Rechtspflege
  4. Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwaltschaft

4. Welche Folgen kann die Interessenkollision haben?

  1. Strafrechtlich: Parteiverratsverfahren (§ 356 StGB) und eventuell Berufsverbot (§ 70 StGB)
  2. Berufsrechtliche Maßnahmen: Verfahren vor dem Anwaltsgericht wegen Interessenkollission bzw. bei Nicht-sofortiger-Niederlegung nach Feststellung derselben, unter Umständen auch wegen Bruches der Verschwiegenheitsverpflichtung, Sanktionen: gegen den betroffenen RA und die Leitungsperson einer BAG: von der Warnung bis zum Ausschluss aus der Anwaltschaft (114 Abs 1 BRAO), gegen die BAG: von der Warnung bis zur Aberkennung der Rechtsdienstleistungsbefugnis (114 Abs. 2 BRAO)
  3. Eventuell verwaltungsrechtliche Maßnahmen der Rechtsanwaltskammer: Widerruf der Zulassung.
  4. Bei Erkennen der Interessenkollision: sofortige Unterrichtungspflicht der Mandanten und Niederlegungspflicht der Mandate (§ 3 Abs. 4 BORA). Die Verletzung dieser Pflicht ist wiederrum berufsrechtlich ahndbar.
  5. In den Verfahren, die für den Mandanten betreut werden, können das Gericht und die gegnerischen Anwälte Anzeige erstatten; die Prozesshandlungen als Anwalt bleiben bis zur Niederlegung / Beendigung der Mandate wirksam.
  6. Zivilrechtliche Ansprüche: Schadensersatzansprüche des Mandanten gegen den Rechtsanwalt
  7. Vergütungsrechtliche Folgen: Keine Ansprüche bzw. Wegfall derselben bei anfänglicher Nichtigkeit gemäß § 134 BGB; Ansprüche aus GOA dann nicht möglich, bereicherungrechtliche Ansprüche schon, aber in der Regel gesperrt wegen § 817 Satz 2 BGB. Bei nachträglich entstehender Interessenkollision sofortige Niederlegungspflicht gemäß § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB und Anspruch auf Teilvergütung. Kürzung gemäß § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB, um zusätzliche Kosten für notwendige Neubeauftragung bzw. mehr/alles, wenn kein Interesse beziehungsweise Nutzen mehr besteht; bei Parteiverrat: auch im Nachhinein Gebührenwegfall gemäß § 654 BGB möglich. Wenn der Rechtsanwalt in einer Situation tätig wird, in der ein Konflikt am Horizont steht, sich aber noch nicht verwirklicht hat, muss er vor Mandatsannahme darauf hinweisen. Wenn er dies nicht tut und der Konflikt später ausbricht, fällt sein Vergütungsanspruch weg (s. z.B. BGH vom 19.09.2013 IX ZR 322/12).

5. Voraussetzungen der Interessenkollision

a) Dieselbe Rechtssache

  • „Dieselbe Rechtssache ist ein ein- oder mehrschichtiger Lebenssachverhalt, der angesichts der ihn begründenden Tatsachen und/oder der an ihm beteiligten Personen ganz oder in Teilen nur einer einheitlichen juristischen Betrachtung zugeführt werden kann.“ (aus: Offermann-Burckart, Susanne: Stolperfallen im Berufsrecht der Rechtsanwälte, 1. Aufl. Nürnberg, Seite 82) oder
  • Rechtssachen sind alle Angelegenheiten bei denen mehrere Beteiligte in entgegengesetztem Interesse einander gegenüberstehen können
  • Beispiele: Ehe, Dauerschuldverhältnisse, Erbschaftsangelegenheiten, Verkehrsunfallangelegenheiten

b) (anwaltliche) Vorbefassung

  • Anwalt. Vorbefassung 43a Abs. 4 BRAO und 3 BORA, Refi Abs. 5, andere Vorb. 45 und 43a Abs. 6, BAG 59 e Abs.1 andere Berufe 59 d Abs. 3
  • Vorbefassung gilt bei Tätigkeiten vorher, gleichzeitig und nachher, gilt in der Regel primär nur für den RA, der die Sache bearbeitet
  • Gilt erst ab Mandatsbeginn, nicht -anbahnung(43 a Abs. 4 Satz 6), und auch nach Beendigung der Zusammenarbeit, nicht für Bürogemeinschaften (43 a Abs. 4 Satz 2 i. V. m. 59 q Abs. 1= keine gemeinschaftliche Ausübung)
  • Vorbefasster Kollege infiziert alle seine alten und neuen BAGs und Koll., ein mbr infizierter Kollege infiziert bei Wechsel die neue BAG nicht, er allerdings bleibt infiziert. Ein in die alte Kanzlei des ehemals Vorbefassten eintretender Kollege ist nicht infiziert, könnte also im Gegensatz zu den „alten“ infizierten Kollegen das Mandat bearbeiten
  • Einverständnis der Mandanten gem. Abs. 4 Satz 4: meint: nicht vorbefasste, aber mbr. infizierte Anwälte können sich von ihren jeweiligen Mandanten von der IK qua Einverständnis „befreien“ lassen, wenn diese umfassend informiert werden, in Textform zustimmen und für die Einhaltung der Verschwiegenheit organisatorisch in der Kanzlei Sorge getragen ist.
  • Refis Abs. 5: später als RA nicht selben Fall auf der Gegenseite, wenn vorher als Refi beim Anwalt andere Partei vertreten, als Refi-Richter etc. (s. 45 Absatz 1 Nr. 1a). Allerdings werden die anderen Kollegen nicht infiziert. Abs. 5 soll nicht gelten für Nebentätigkeitsreferendare und wissenschaftliche Mitarbeit (da auch 45 nicht).
  • 43 a Abs. 6 soll bei IK auch für andere, nichtanwaltliche Tätigkeiten des RA nach seiner anwaltlichen gelten.

c) Interessensgegensatz

  • (subj. oder obj. zu bestimmen, str.), im Zweifel Einverständnis und Aufklärung
  • wenn Gegensatz bereits konkret spürbar nur eine Person vertreten
  • IK ist nicht einverständnisfähig, nur gleichgerichtete Interessen sind vertretbar (eingschr. Mandat): Bspe: Gesamtschuldner (BGH vom 10.01.2019,IX ZR 89/18 Beschränkung auf Abwehr des Anspruches im gemeinsamen Interesse), Beratung Eheleute (BGH IX ZR 322/12), Elternteil und volljähriges Kind, Erblasser und Erben, Betriebsrat und -smitglied, mehrere Beschuldigte

6. Prüfung/Fragen

  1. Hatte ich/das Büro/einer aus dem Büro den Gegner schon mal beraten/vertreten (u. U. auch in anderer Funktion)?
  2. Falls ja: Ging es um dieselbe Rechtssache?
  3. Falls ja: Kein Mandat annehmen bzw. sofort niederlegen bzw. wenn neu in der BAG und nur mbr. infiziert: aufklären und Geheimhaltung organisatorisch sicherstellen
  4. Falls nein: Ist die Gefahr einer späteren IK oder eines Bruches der Verschwiegenheit durch anvertraute Informationen des Alt-Mdtn gegeben? Dann aufklären und ablehnen oder Einverständnis des Neu-Mdtn einholen
  5. Bei mehreren Neu-Mdtn (= Gesamtschuldner z. B. oder Eheleute für Beratung) ablehnen oder hinweisen auf: s. Tipps
  6. Wenn nicht dieselbe R-Sache bzw. IK nicht absehbar: manchmal Geschmacksfrage: z. B. Hausverwaltung-Eigentümer: eigentlich via HV immer Eig. jetzt Streit Eig-HV?

7. Tipps

  1. In der Regel immer nur ein Mandant
  2. Wenn das nicht möglich sein sollte und man mehrere Mandanten vertritt, zwischen denen sich später eine Interessenkollision ergeben könnte, unbedingt vorher ein eingeschränktes Mandat geben lassen, darauf hinweisen, dass man in der Regel nur einen beraten / vertreten kann, darauf hinweisen, dass bei einer gemeinsamen Beratung/ Vertretung man nicht mehr die Interessen einer Partei einseitig vertreten darf und bei erfolgloser Beratung man selbst das Mandat niederlegen muss und sich jeder einen Anwalt nehmen muss, also Kosten für insgesamt drei Anwälte entstehen.
  3. Für Fälle der Interessenkollision schon vorab andere Kollegen aus anderen Kanzleien suchen, an die man weiterverweisen kann und umgekehrt. d) Bei Erkenntnis der Interessenkollision sofort die Mandaten informieren und die Mandate niederlegen.

8. Fälle, um ein Gefühl für die IK zu bekommen

Offermann-Burckart, Susanne: Interessenskollision-Jeder Fall ist anders. 35 Einzelfälle aus der Praxis, Anwaltsblatt 2009, 729–742

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RA Thomas Röth an der Konferenz der Anwaltschaften der EU-Beitrittskandidaten

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