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Endlich etwas Licht im Dunkel der Justiz

Berufsrecht für Rechtsanwälte in Berlin & Bundesweit

Rezension des neuen Buches von Dr. Wagner zum Zustand der Justiz

"Ende der Wahrheitssuche: Justiz zwischen Macht und Ohnmacht" von Dr. Joachim Wagner

Der promovierte Jurist und Journalist, jahrelange Leiter und Moderator des Fernsehmagazins „Panorama“, war 2014 mit seinem Buch über Rechtsanwälte („Vorsicht Rechtsanwalt: Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral“, siehe die Rezension des Kollegen Samimi im Berliner Anwaltsblatt 2014, Seite 189 f.) stark in der Diskussion.

Er hat soeben ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Ende der Wahrheitssuche: Justiz zwischen Macht und Ohnmacht“ (C.H. Beck Verlag, 270 Seiten, gebunden, 29,80 €, ISBN 978-3-406-70714-8).

Hatte Dr. Wagner sich 2014 mit Auswüchsen in der Rechtsanwaltschaft befasst, geht es jetzt um die Staatsanwaltschaft/Justiz. Beide Bücher sind unglaublich materialreich. Im Gegensatz zum Anwaltsbuch ist das Justizbuch strukturierter und zugespitzter. Beide Bücher leiden (wofür der Autor nichts kann) etwas darunter, dass die Maßstäbe für die Anwalts-/Justizbeurteilung schwer aufzustellen und zu fassen sind (wie messe ich Verfahren, den Bedarf, die Qualität etc.?).

Dieses Buch ist ein Muss für alle diejenigen, die sich für die Justiz (von der Staatsanwaltschaft bis hin zu allen Gerichtszweigen) über das konkrete Verfahren hinaus interessieren. Es bringt viel Licht in ein für uns Anwälte doch eher dunkles Feld; zwar kennen wir viele Richter/Gerichte, der Überblick oder das Wissen um deren Nöte aber fehlt uns. Leider spart das Buch den nicht-richterlichen Bereich, in dem zu Teilen katastrophale Zustände herrschen, aus.

Der Autor hat für dieses Buch umfangreiche Gespräche (anhand standardisierter Fragebögen) mit 157 Richtern, 33 Staatsanwälten und 90 Rechtsanwälten schwerpunktmäßig in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg, den Flächenstaaten Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westphalen und Bayern geführt. Er gibt im Einleitungskapitel nach dem Anriss von Problemen folgende Fragen vor, die danach beantwortet werden sollen.

  • Ist die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten amtsangemessen und geeignet, die Qualität der Rechtsprechung zu sichern?
  • Wie stark ist die Belastung der Justiz wirklich?
  • Welche Folgen hat die Belastung der Justiz für die Qualität der Rechtsprechung?
  • Wie wirkt sich die Belastung der Justiz auf die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit aus?
  • Hat die Belastung der Justiz die Rechtsprechungskultur verändert?
  • Welche Folgen hat der Protest der Richter und Staatsanwälte gegen Besoldung und Belastung für das Verhältnis zwischen Justiz und Politik?

Dann folgen 17 Kapiteln mit allgemeinen Justizproblemen, anschließend 6 Kapitel zu den einzelnen Gerichtsbarkeiten und das Schlusskapitel.

Einen solchen Rundumblick/Einblick hat der Unterzeichner bisher nicht gelesen (lesen können). Neben der Vielzahl der Einzelinterviews werden viele Statistiken zur Untermauerung verwandt, die der Autor im Einleitungskapitel auch nennt (s. Informationshinweise am Ende dieses Artikels). Darüber hinaus erwähnt er nicht veröffentlichte „Tabellen“, nämlich die Berliner- und die Sachsen-Tabelle. Diese beiden Tabellen scheinen justizintern die ausführlichsten Statistiken zu sein, um einen Ländervergleich sämtlicher Gerichtszweige herzustellen. Sie werden auch – so der Autor – von den Präsidenten der jeweiligen Gerichte verwandt, um den Bedarf (z. B. an Personal etc.) zu ermitteln.

Im allgemeinen Kapitel beschäftigt sich dann der Autor als Aufhänger mit plötzlich demonstrierenden Richtern, dem Protest der Präsidenten, dem gestörten Vertrauensverhältnis zwischen Politik und Justiz, wirft einen Blick auf Spitzenreiter und Schlusslichter, nämlich Justiz im Ländervergleich, forscht nach den Berufswünschen der Richter, geht der Verweiblichung der Justiz nach, wagt den Versuch, die junge Richtergeneration als kompetent und unpolitisch zu beschreiben, spürt dem ungeklärten Selbstverständnis der Richter nach, hinterfragt die Unabhängigkeit des Richters als Schutzschild und Alibi, stellt den Kampf um die Beförderung als Klagen gegen den Frust dar, schildert die Dienstaufsicht als zäh und zahnlos, beschreibt den Kampf der Richter vor dem Bundesverfassungsgericht hinsichtlich einer höheren Besoldung als verfassungsrechtlichem Minimum, um sich dann detailliert mit den einzelnen Gerichtsbarkeiten hinsichtlich der eingangs gestellten Fragen zu befassen.

Im Schlusskapitel fasst der Autor über 31 Seiten seine Informationen zusammen und gibt einen Ausblick. Es möge hier zur Abkürzung der Rezension erlaubt sein – und zum Anfüttern für die Lektüre – schlagwortartig die Ergebnisse/Vorschläge aufzulisten:

  • Er hält die angebliche Überbelastung der Richter für eine Mär.
  • Wegen der Unabhängigkeit/Unversetzbarkeit gibt es ein Problem bei der Binnenverteilung der Ressourcen.
  • Die Verweiblichung der Justiz (viele Teilzeitrichter) kann auch gut strukturiert werden: Hier erwähnt er die eingeführte Taskforce aus dem Bundesland Hessen.
  • In der Regel sind die Justizministerien – insbesondere, wenn es um Gelder für die Justiz geht – Ministries of last resort. Aber in letzter Zeit gab es u. a. wegen der Flüchtlingsproblematik großzügigere Handhabung (der Brunnen wird erst zugedeckt, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, insbesondere bei der Justiz).
  • Verfahrensdauer: „Justice delayed is justice denied“ – Hier führt der Autor seine Ergebnisse zusammen hinsichtlich der jeweiligen statistischen Verfahrensdauer und stellt fest, dass viele Gerichtszweige hier Handlungsbedarf haben (insbesondere die Straf-/Sozial-/Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit).
  • Der Verfasser stellt auch fest, dass das über die EU eingeführte Gesetz gegen überlange Verfahrensdauer (§§ 198 ff. GVG) durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu einem zahnlosen Tiger geworden ist.
  • Insbesondere bei der Strafjustiz führt dies hinsichtlich der völligen Überlastung der Staatsanwaltschaft und der allgemeinen Abteilungen beim AG und LG zu großen Qualitätsverlusten.
  • Auch die Verlagerung der Ermittlungsherrschaft der Staatsanwaltschaft auf die Polizei führt in der allgemeinen Kriminalität zu Problemen, sodass es vom Zufall abhängen kann, welches Strafverfahren weiterbetrieben wird.
  • Der Autor befasst sich dann soziologisch mit der Richterschaft (Stichworte sind: Mischung zwischen Elite und Beamter, Inseln der Gesellschaft, welche Psychogramme sind vorherrschend, Kritikunfähigkeit, Entschuldigungsunfähigkeit bei Fehlurteilen, Selbstisolierung).
  • Er fragt bei Richtern nach, wie sich das „Entscheidungsbild“ geändert hat: das schwierige Verhältnis zwischen Rechtsfrieden, Wahrheit und Gerechtigkeit (mittlerweile Vorrang des Konsensprinzips).
  • Er zeigt auf, wie gute Präsidenten der Gerichte ihre Richter zu mehr Effizienz motivieren (offener Zugang zum Präsidenten, regelmäßige Richterversammlungen, Transparenz, Zusammenarbeit mit dem nicht-richterlichen Bereich, „Qualitätszirkel“, „Budgetrat“ usw.)
  • Er weist auf folgende Prozessrechtsprobleme hin:
    • Zweierbesetzung beim Landgericht in Strafsachen,
    • Masse der Verfahren vor dem Amtsgericht in Strafsachen,
    • Verwerfung der Berufung gem. § 522 ZPO,
    • Einzelrichterdelegation.
  • Er stellt auch fest, dass verschiedene Bundesländer immer mehr Probleme haben, Prädikatsjuristen als Richter/Staatsanwälte zu gewinnen (was auch mit Flächenstaaten, Geld und interessanten Städten zu tun hat).
  • Er weist darauf hin, dass es in vielen Gerichtszweigen nicht mehr üblich ist, Beweisaufnahmen vorzunehmen.
  • Ebenso weist er darauf hin, dass der Amtsermittlungsgrundsatz nur noch insoweit ernst genommen wird, als er Anhalt im Vortrag der Parteien findet.
  • Er weist auf das Problem der Entlassung aus der Haft wegen Untätigkeit innerhalb von 6 Monaten hin.
  • Bei anderen Gerichtszweigen weist er darauf hin, dass die lange Bearbeitung von Hauptsachen zur Erhöhung von einstweiligem Rechtsschutz führt und deswegen die Hauptsachen noch langsamer erledigt werden.
  • Er weist auf das Problem hin, dass wegen des Erledigungsdruckes einfache Sachen erledigt werden und schwierigere liegen bleiben.
  • Er fragt grundsätzlich nach der Bedeutung der dritten Gewalt heutzutage.

Gerne hätte ich noch etwas zur Fortbildungen der Richter/Staatsanwälte in dem Buch gelesen. Mein Eindruck ist nämlich, dass da – bezogen auf die gesamte Staatsanwalt-/Richterschaft – wenig passiert.

Wir Anwälte haben ständig mit Gerichten zu tun und wundern uns mehr oder minder über lange Verfahrenszeiten, über ständige Richterwechsel, über schlecht funktionierende Geschäftsstellen (Ladungen werden zugestellt, obwohl der Verhandlungstermin bereits vergangen ist). Außer einmal mit einzelnen Richtern zu sprechen, habe ich mich nicht um das Grundsätzlichere der Justiz gekümmert.

Wer etwas vertiefter wissen will, was es mit der Justiz (organisatorisch, besoldungsmäßig, erledigungsschlüsselmäßig usw.) auf sich hat, der sollte dieses Buch lesen.
Es gibt auch viele Einblicke, die weit über das fallbezogene Sachliche hinausgehen.
Vielleicht kommen wir jetzt einmal ganz anders mit den Staatsanwälten/Richtern ins Gespräch?

Einen guten statistischen Einblick liefern:

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