Nießbrauch an Immobilien
Rechtsanwälte Liebert & Röth | Immobilienrecht in Berlin & bundesweit
Der Nießbrauch an Immobilien ist ein wichtiges Rechtsinstitut, das in der Praxis häufig bei Vermögensübertragungen, Schenkungen und Erbfolgeplanungen eingesetzt wird.
Als umfassendes Nutzungsrecht ermöglicht er es, Eigentum und Nutzung einer Immobilie rechtlich voneinander zu trennen. Diese Gestaltung bietet vielfältige Möglichkeiten, birgt aber auch rechtliche Fallstricke, die es zu beachten gilt.
Was ist Nießbrauch? – Grundlagen und Definition
Der Nießbrauch ist gesetzlich in den §§ 1030 ff. BGB geregelt und gewährt dem Berechtigten ein umfassendes Nutzungsrecht an fremdem Eigentum. Der Begriff leitet sich vom lateinischen usus fructus (Fruchtgenuss) ab und beschreibt treffend die Kernberechtigung: Der Nießbraucher darf die Immobilie nicht nur nutzen, sondern auch die "Früchte" daraus ziehen.
Bei Immobilien bedeutet dies konkret, dass der Nießbraucher die Immobilie bewohnen oder vermieten und die Mieteinnahmen für sich behalten darf. Das Eigentum bleibt hingegen beim ursprünglichen Eigentümer, der nur noch über die Immobilie verfügen, sie aber nicht mehr nutzen kann.
Rechtlich gesehen wird durch den Nießbrauch das Eigentumsrecht "aufgespalten": Der Eigentümer behält das "nackte Eigentum" (nudum dominium), während der Nießbraucher zum "wirtschaftlichen Eigentümer" wird. Diese Trennung hat weitreichende Konsequenzen für beide Parteien.
Arten des Nießbrauchs – Verschiedene Gestaltungsformen
Vorbehaltsnießbrauch
Der Vorbehaltsnießbrauch ist die häufigste Form in der Praxis. Hierbei überträgt der Eigentümer seine Immobilie auf eine andere Person, behält sich aber gleichzeitig ein Nießbrauchsrecht vor. Typisches Beispiel: Eltern übertragen ihr Familienheim auf ihre Kinder, behalten sich aber das Recht vor, bis zum Lebensende darin zu wohnen oder es zu vermieten.
Zuwendungsnießbrauch
Beim Zuwendungsnießbrauch räumt der Eigentümer einer dritten Person ein Nießbrauchsrecht ein, ohne dass eine Eigentumsübertragung stattfindet. Der Eigentümer bleibt Eigentümer, die Nutzung und Erträge stehen aber dem Nießbraucher zu. Diese Gestaltung wird häufig verwendet, um Familienangehörigen Einkünfte zuzuwenden.
Weitere Nießbrauchsformen
- Bruchteilsnießbrauch: Beschränkung auf einen Miteigentumsanteil oder einen bestimmten Teil der Immobilie
- Quotennießbrauch: Berechtigung nur zu einem bestimmten Anteil der Nutzungen oder Erträge
- Nachrangiger Nießbrauch: Für den Fall des Todes des Erstberechtigten wird bereits ein Nachfolgeberechtigter bestimmt
Entstehung und Bestellung des Nießbrauchs
Die Bestellung eines Nießbrauchs an Immobilien erfordert nach § 873 BGB eine dingliche Einigung zwischen den Beteiligten und die Eintragung im Grundbuch. Zusätzlich ist eine notarielle Beurkundung der Einigung erforderlich.
Ablauf der Nießbrauchsbestellung:
- Notarielle Beurkundung der Nießbrauchsvereinbarung
- Bewilligung der Grundbucheintragung durch den Eigentümer
- Antrag auf Eintragung beim Grundbuchamt
- Eintragung in Abteilung II des Grundbuchs
Die Eintragung im Grundbuch verleiht dem Nießbrauch dingliche Wirkung, das heißt, er wirkt auch gegenüber Dritten, beispielsweise bei einem späteren Verkauf der Immobilie.
Eigentümernießbrauch - Eine besondere Gestaltung
Ein besonderer Fall ist der sogenannte Eigentümernießbrauch, bei dem der Eigentümer zunächst einen Nießbrauch an seinem eigenen Grundstück bestellt. Der Bundesgerichtshof hat in seinem wegweisenden Beschluss im Jahre 2011 entschieden (BGH V ZB 271/10), dass ein Nießbrauch auch am eigenen Grundstück bestellt werden kann, ohne dass hierfür ein berechtigtes Interesse nachgewiesen werden muss.
Diese Gestaltung ist insbesondere bei geplanten Veräußerungen unter Nießbrauchsvorbehalt von Bedeutung, da sie dem Eigentümer eine größere Rechtssicherheit bietet als nur ein schuldrechtliches Versprechen des Erwerbers zur nachträglichen Nießbrauchsbestellung.
Rechte und Pflichten des Nießbrauchers
Umfassende Nutzungsrechte
Der Nießbraucher erhält nach § 1030 BGB ein umfassendes Nutzungsrecht, das deutlich über ein einfaches Wohnrecht hinausgeht. Er darf die Immobilie:
- Selbst bewohnen
- Vermieten oder verpachten
- Zu geschäftlichen Zwecken nutzen (soweit rechtlich zulässig)
- Die Mieteinnahmen vollständig für sich behalten
Erhaltungspflichten
Nach § 1041 BGB ist der Nießbraucher verpflichtet, die Immobilie in ihrem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten. Dazu gehören:
- Gewöhnliche Instandhaltungsmaßnahmen
- Schönheitsreparaturen
- Kleinere Reparaturen
- Behebung normaler Abnutzungserscheinungen
Der Bundesgerichtshof hat 2009 (BGH V ZR 197/07) wichtige Klarstellungen zum Verhältnis zwischen § 1041 BGB und § 1050 BGB getroffen.
Demnach werden die Erhaltungspflichten des Nießbrauchers durch § 1050 BGB nicht eingeschränkt. Der BGH stellte klar, dass § 1050 BGB keine eigenständige Regelung zu den Instandhaltungspflichten trifft, sondern lediglich klarstellt, dass den Nießbraucher keine Kapitalerhaltungspflicht trifft.
In der neueren Rechtsprechung hat der BGH zudem präzisiert, dass dem Nießbraucher nur solche Pflichten obliegen, die "regelmäßig, und zwar wiederkehrend innerhalb kürzerer Zeitabstände" anfallen.
Diese Formel schützt den Nießbraucher vor unzumutbaren finanziellen Belastungen, kann aber bedeuten, dass dem Eigentümer beträchtliche Ausgaben entstehen, ohne dass er Verfügungsrechte über die Immobilie hat.
Außergewöhnliche Aufwendungen, die über die gewöhnliche Unterhaltung hinausgehen, trägt hingegen der Eigentümer. Hierzu zählen beispielsweise eine neue Heizungsanlage, Dacherneuerung oder umfassende Modernisierungsmaßnahmen.
Umgestaltungsverbot
Der Nießbraucher ist nach § 1037 BGB nicht berechtigt, die Immobilie umzugestalten oder wesentlich zu verändern. Das Oberlandesgericht München hat in einem Beschluss im Jahre 2011 (OLG München 34 Wx 311/11) entschieden, dass dieses Verbot nicht mit dinglicher Wirkung abbedungen werden kann. Möglich ist jedoch eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den Parteien, die aber nur inter partes wirkt.
Lastentragung
Der Nießbraucher trägt nach § 1047 BGB die gewöhnlichen öffentlichen und privatrechtlichen Lasten:
- Grundsteuer
- Gebäudeversicherungsprämien (§ 1045 BGB)
- Nebenkosten wie Müllabfuhr, Schornsteinfeger
- Zinsen für zum Zeitpunkt der Nießbrauchsbestellung bereits bestehende Grundpfandrechte
Rechte und Pflichten des Eigentümers
Der Eigentümer behält das Verfügungsrecht über die Immobilie, verliert aber das Nutzungsrecht. Seine wesentlichen Verpflichtungen umfassen:
- Tragung außergewöhnlicher Instandhaltungskosten
- Durchführung struktureller Modernisierungen
- Tilgung von Darlehen (soweit nicht anders vereinbart)
- Ermöglichung der Nießbrauchsausübung
Der Eigentümer kann die Immobilie verkaufen, der Nießbrauch bleibt jedoch bestehen und belastet den neuen Eigentümer entsprechend dem Grundbuchrang.
Steuerliche Behandlung des Nießbrauchs
Ertragsteuerliche Aspekte
Die steuerliche Behandlung unterscheidet sich je nach Art des Nießbrauchs erheblich:
Bei Vorbehaltsnießbrauch:
- Der Nießbraucher erzielt Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
- Er kann Werbungskosten geltend machen, einschließlich Gebäude-AfA
- Der Eigentümer hat keine steuerpflichtigen Einkünfte
Bei Zuwendungsnießbrauch:
- Der Nießbraucher versteuert die Mieteinnahmen
- Gebäude-AfA kann nicht geltend gemacht werden, da keine Anschaffungskosten entstanden sind
- Der Eigentümer kann ebenfalls keine Abschreibungen vornehmen
Schenkung- und Erbschaftsteuer
Der Nießbrauch hat erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung von Schenkungen und Erbschaften:
- Bei Vorbehaltsnießbrauch wird der Wert des Nießbrauchs vom Immobilienwert abgezogen
- Dies kann zu erheblichen Steuerersparnissen führen
- Die Bewertung erfolgt nach den Tabellen des Bundesfinanzministeriums unter Berücksichtigung von Alter und Lebenserwartung
Bewertung des Nießbrauchs
Die Wertermittlung erfolgt nach der Formel:
Nießbrauchswert = Jahresmiete × Kapitalwert (Vervielfältiger)
Der Kapitalwert richtet sich nach dem Alter des Nießbrauchers und der statistischen Lebenserwartung. Das Bundesfinanzministerium veröffentlicht entsprechende Bewertungstabellen.
Beispielrechnung:
- Immobilienwert: 500.000 Euro
- Jahresmiete: 12.000 Euro
- Nießbraucher: 60 Jahre alt
- Kapitalwert: 13,871 (aus Tabelle)
- Nießbrauchswert: 12.000 × 13,871 = 166.452 Euro
Beendigung des Nießbrauchs
Automatische Beendigung
Der Nießbrauch endet kraft Gesetzes in folgenden Fällen:
- Tod des Nießbrauchers (§ 1061 BGB)
- Ablauf einer vereinbarten Befristung
- Untergang der belasteten Sache
Vorzeitige Beendigung
Eine vorzeitige Aufhebung ist möglich durch:
- Verzicht des Nießbrauchers (führt zur Schenkung an den Eigentümer)
- Einvernehmliche Aufhebung
- Außerordentliche Kündigung bei schweren Pflichtverletzungen
Löschung im Grundbuch
Für die Löschung des Nießbrauchs sind erforderlich:
- Löschungsbewilligung des Nießbrauchers (notariell beurkundet)
- Löschungsantrag des Eigentümers
- Nach dem Tod: Sterbeurkunde (erst nach einem Jahr ausreichend, vorher zusätzlich Erbnachweis)
Bei Vorbereitung der Nießbrauchsbestellung sollte eine sogenannte "Vorlöschungsklausel" vereinbart werden, die eine sofortige Löschung nach dem Tod ermöglicht.
Nießbrauch und Pflichtteilsrecht
Der Nießbrauch hat erhebliche Auswirkungen auf pflichtteilsrechtliche Ansprüche. Während normalerweise Schenkungen nach zehn Jahren nicht mehr pflichtteilsergänzungspflichtig sind, gilt bei Vorbehaltsnießbrauch eine Besonderheit:
Der Bundesgerichtshof hat entschieden (BGH IV ZR 132/93), dass die Zehnjahresfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Schenker den "Genuss" der Sache tatsächlich entbehrt. Bei lebenslangem Vorbehaltsnießbrauch beginnt die Frist daher erst mit dem Tod des Schenkers, sodass stets ein Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht.
Gläubigerschutz und Insolvenz
Gläubiger des Eigentümers
Gläubiger des Eigentümers können grundsätzlich nicht auf den Nießbrauch zugreifen. Bei einer Zwangsversteigerung hängt das Schicksal des Nießbrauchs vom Rang ab:
- Vorrangiger Nießbrauch: Bleibt auch nach Zwangsversteigerung bestehen
- Nachrangiger Nießbrauch: Erlischt bei Zuschlag, Wertersatzanspruch möglich
Gläubiger des Nießbrauchers
Der Nießbrauch selbst ist nach § 1059b BGB unpfändbar. Gläubiger können jedoch einzelne Rechte pfänden, etwa die Mietforderungen.
Praxistipps und häufige Gestaltungsfehler
Wichtige Vertragsklauseln
In der Praxis sollten folgende Punkte sorgfältig geregelt werden:
- Abweichende Kostentragung (Brutto- oder Nettonießbrauch)
- Modernisierungsrechte und -pflichten
- Versicherungsregelungen
- Regelungen für den Pflegefall
- Finanzierungsmöglichkeiten für den Nießbraucher
Häufige Fallstricke
- Unklare Abgrenzung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Lasten
- Fehlende Regelungen zur Gesamtberechtigung bei Ehepaaren
- Vernachlässigung der pflichtteilsrechtlichen Folgen
- Unzureichende steuerliche Planung
Nießbrauch versus Wohnrecht
Während der Nießbrauch ein umfassendes Nutzungsrecht gewährt, beschränkt sich das Wohnrecht auf die Bewohnung der Immobilie. Die wesentlichen Unterschiede:
Nießbrauch | Wohnrecht |
---|---|
Vermietung möglich | Nur Selbstnutzung |
Steuerliche Abschreibungen möglich | Keine steuerlichen Vorteile |
Umfassende Kostentragung | Begrenzte Kostentragung |
Höhere Flexibilität | Eingeschränkte Nutzung |
Nicht vererbbar | Kann vererbbar ausgestaltet werden |
Fazit und Empfehlungen
Der Nießbrauch an Immobilien ist ein komplexes, aber sehr nützliches Rechtsinstitut für die Vermögens- und Nachfolgeplanung. Er ermöglicht eine flexible Gestaltung der Übertragung von Immobilienvermögen unter Erhaltung der Nutzungsrechte für den ursprünglichen Eigentümer.
Aufgrund der rechtlichen Komplexität und der weitreichenden steuerlichen und erbrechtlichen Folgen ist eine sorgfältige Planung und qualifizierte rechtliche Beratung unerlässlich. Nur durch eine durchdachte Vertragsgestaltung können die Vorteile des Nießbrauchs optimal genutzt und rechtliche Risiken minimiert werden.
Bei Fragen zum Nießbrauch und seiner optimalen Gestaltung für Ihre individuelle Situation stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite. Vereinbaren Sie einen Termin für ein ausführliches Beratungsgespräch.
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