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Dokumentation des Strafprozesses

Deutschland Schlusslicht im internationalen Vergleich

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Zum Thema Dokumentation von Strafverfahren hatte der Deutsche Anwaltverein (DAV) am 6.9.2019 im DAV-Haus in der Littenstraße 11, von 12 Uhr bis 14 Uhr, eingeladen. Neben einem Mittagsimbiss zu Beginn und Kaffee und Kuchen zum Ausklang begrüßte der Hauptgeschäftsführer Herr Philipp Wendt die ca. 70 anwesenden Gäste und gab eine kurze Einführung in die Bemühungen des DAV um die Dokumentation des Strafprozesses spätestens seit 1993 ausdrücklich.

Danach führte Herr Rechtsanwalt Dr. Spatscheck, Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des DAV, kurz in das Thema Dokumentationspflichten ein, in dem er auf andere Verfahrensordnungen in der Bundesrepublik (Finanzgerichtsordnung, Sozialgerichtsgesetz usw.) verwies. Dort gibt es mit der Dokumentationspflicht kein Problem. Darüber hinaus ging er auch noch kurz auf den gerade begonnen habenden Cum-Ex-Prozess in Bonn ein. Strafprozesssual referierte er kurz die Grundlagen, nämlich dass vor dem Amtsgericht zwar die wesentlichen Förmlichkeiten und der wesentliche Inhalt protokoliert werden, allerdings von nicht eigens dafür ausgebildeten Kräften, und vor dem Landgericht/OLG keine Dokumentation des Inhaltes von z. B. Zeugenaussagen stattfindet. Er wies noch einmal darauf hin, dass nach dem derzeitigen Modus (zum einen Fragenstellen und zugleich auch noch Aufschreiben zum anderen) eigentlich alle Beteiligten, die Fragen zu stellen haben, überfordert sind. Herr Kollege Dr. Spatscheck übergab dann an Herrn Kollegen Professor König, der die Moderation übernahm, aber zunächst ganz schnell das Wort an die erste Hauptreferentin Frau Kollegin von Gahlen übergab.

Frau Margarete von Galen referierte in den ihr zur Verfügung stehenden 20 Minuten im Großen und Ganzen ihren Aufsatz (siehe StraFo 2019, 309–318). In diesem Aufsatz stellt sie hinsichtlich der Protokollierung der Hauptverhandlung einen europäischen Vergleich an. Sie geht sämtliche derzeitige EU-Mitgliedsländer auf ihre gesetzlich geltenden Dokumentationspflichten durch. Es stellt sich heraus, dass nur noch zwei weitere Länder so wie Deutschland nicht aufzeichnen, nämlich Belgien und Griechenland. Teilaufzeichnungen gibt es in Finnland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Polen. Alle übrigen EU-Länder zeichnen umfassend auf (sei es stenografisch, akustisch oder audiovisuell). Frau von Galen stellt in ihrem Artikel fest, dass Deutschland, würde es jetzt eine Mitgliedschaft in der EU beantragen, mit dem bisherigen Nichtdokumentationsrecht wohl nicht in die EU aufgenommen werden würde. Sie kann das anhand der EU-Empfehlungen für die letzten Mitglieder, die aufgenommen wurden, nachweisen. Der Aufsatz lag als Kopie für die Zuhörer aus.

Danach gab Herr Professor Stefan König das Wort weiter an Herrn Professor Andreas Mosbacher, Richter am BGH (5. Strafsenat). Auch dessen Aufsatz mit dem Thema „Dokumentation der Beweisaufnahme im Strafprozess“ (ZRP 2019, 158–161) lag ebenfalls für die Zuhörer als Kopie vor. Er versuchte, den vorwiegend anwaltlichen Gästen und Zuhörern die Probleme der Richterschaft mit der Dokumentation der Hauptverhandlung nahezubringen und appellierte an die Anwälte, deren Sorgen anzunehmen und an einem Abbau der Sorgen konstruktiv mitzuarbeiten. Er gab offen zu, dass viele Justizjuristen Angst vor einem Kollaps hätten, sollte die Dokumentation kommen. Die Ängste beziehen sich auch darauf, dass dann der Richter als Vorsitzender Richter für die Technik letztendlich „verantwortlich“ sei. Ebenso wird befürchtet, dass die Technik die Verfahren verzögern könne. Er teilte des Weiteren Ängste der Richter hinsichtlich der Revision mit, da zu befürchten sein könnte, dass die Revision zur zweiten Tatsacheninstanz wird.

Auf Nachfrage gab er als weiteres Motiv für eine gewisse beharrliche Abneigung gegen die Einführung der Dokumentationspflichten an, dass es auch um den Verlust der Macht über die Tatsachenfeststellung gehe. Herr Professor Mosbacher selbst zeigte auf, welche Möglichkeiten der Dokumentation es gebe, nämlich vom reinen Wortprotokoll (dass der Richter selbst als Zusammenfassung verfasst wie im Zivilrecht) über das sofortige Protokoll (wird sofort über Stenografen erstellt) bis hin zur Bild- und Tonaufzeichnung oder zur reinen Tonaufzeichnung. Er präferiert eher die reine Tonaufzeichnung. Denn lediglich audiovisuell aufgenommene Hauptverhandlungen führen ja noch nicht zu einem schriftlichen Protokoll. Dies wäre bei einer reinen Tonaufzeichnung anders und könnte über derzeit und zukünftig zu erwartende Transkriptionsverfahren hoffentlich einfach und schnell in eine schriftliche Form gebracht werden. Das wäre auch nicht so teuer und vor allem nicht so fehleranfällig. Es ist dann auch keine Verzögerung des Verfahrens zu erwarten, weil man ja nun bei Unklarheiten die Audiodatei und den schriftlich dokumentierten Hauptverhandlungstext hat. Ein Desiderat wäre natürlich, dass das alsbald allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht wird, sodass man sich für den nächsten Hauptverhandlungstag für etwaige Vorhalte auf das gefertigte Protokoll des vorherigen Hauptverhandlungstages stützen könne. Es würden dann auch die Befürchtungen der Richterschaft zerstreut werden können. Wenn es ein „offizielles“ Protokoll gibt. Dann könnte man zum Beispiel im Urteil auch darauf verweisen und sich eher mit der Beweiswürdigung als mit der langatmigen Wiederholung von Zeugenaussagen befassen. Revisionsrechtlich könnte das zu einer Häufung von Inbegriffsrügen führen. Wenn ein offizielles Protokoll da wäre, wäre ja zu überprüfen, ob im Urteil die dokumentierte Aussage richtig verwandt wurde. Im Übrigen würden durch die Audio-Protokollierung auch sämtliche Beteiligten entlasten werden, weil sie nicht mehr mitschreiben müssten, und es würde der Streit um die Aussage wegfallen, weil sie ja aufgenommen wurde.

Auf Nachfrage wurde dann die Frage diskutiert, ob die Rügeverkümmerung damit auch wegfallen würde. Das wäre wohl zu erwarten. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass eine audiovisuelle Aufzeichnung den Vorteil hätte, Wiederaufnahmen eher zu ermöglichen, indem man z. B. Falschaussagen dokumentieren kann. So hätte man dann einen Aufhänger für einen etwaiges Wiederaufnahmeverfahren. Ohne (visuelle) Dokumentation ist dies allerdings nicht möglich. Zum Thema Transkription gab Frau von Galen in der Diskussion an, dass dies in allen Ländern, in denen aufgezeichnet wird, eine Rolle spiele. So sei es zum Beispiel in Irland so, dass eine Transkription nur dann vorgenommen wird, wenn Rechtsmittel eingelegt werden.

Der Moderator, Herr Professor König, gab an, dass in der Expertenkommission, die damals von Herrn Maas einberufen worden war, die Befürchtung wegen höherer Kosten, die auf die Länder zukämen, bestanden hätten. Und es war auch im Gespräch, wenn es denn eingeführt würde, es vielleicht nur den Richtern zugänglich zu machen. Er fragte, ob man es wenigstens den Verteidigern erlauben sollte, für eigene Zwecke schon jetzt Aufzeichnung machen zu können. Professor Mosbacher sagte, dass es für eigene Zwecke ja kein Problem sei, allerdings wird der Verteidiger seine Mitschnitte bei Abweichungen durch das Gericht einführen wollen.

In der Diskussion wurde ebenfalls erwähnt, dass bei einer audiovisuellen Aufzeichnung der Vorteil darin bestünde, dass die Richter auch wechseln könnten, ohne wieder von vorne anfangen zu müssen bzw. zu lang zu unterbrechen. Derzeit ist gerade in Rede, dass Richterinnen, die im Mutterschutz/Elternzeit gehen, bis zu drei Monate und zehn Tage dem Prozess fern bleiben können, der während dieser Zeit dann auch unterbrochen ist.

Schlussendlich gab es zwei Statements der anwesenden Entsandten des Bundesministeriums für Justiz- und Verbraucherschutz. Zum einen wurde mitgeteilt, dass es in der Richterschaft Öffnungstendenzen gebe. So wolle sich das BMJ an einen konsensfähigen Vorschlag im nächsten Jahr machen, da noch einiges zu recherchieren sei. Zuletzt wurde von einem Zuhörer noch darauf hingewiesen, dass eine Audioaufnahme auch eine bessere Kontrolle der Dolmetscher gewährleisten würde.

Alles in allem eine sehr gelungene Veranstaltung des DAV. Der Unterzeichner bittet darum, dies häufiger zu tun. Zurzeit gibt es einen Gesetzesentwurf der FDP-Bundestagsfraktion, nach welchem die Hauptverhandlungen in Strafsachen bei Schwerkriminalität künftig audiovisuell aufgezeichnet werden soll (BT-Drs 19/11090).

 

Zusatz des Verfassers:

Im Jahre 2017 gab es den Strafkammertag, in welchem ca. 80 Richter in wenigen Stunden einige Vorschläge erarbeiteten und den diversen Ministerien unterbreiteten. Viele dieser Vorschläge sind dann in die letzte (ab 1.1.2020) in Kraft tretende StPO-Reform hineingenommen worden. So zum Beispiel das Weiter-Verhandeln trotz Stellung eines Ablehnungsantrages usw. Ab dem 1.1.2020 gilt nun auch § 136 IV StPO, wonach unter anderem die Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton aufgezeichnet werden kann und aufzuzeichnen ist, wenn es um ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt geht, und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegensteht.

Zu dem Strafkammertag hat der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer einen hochinteressanten Artikel in der „Zeit“ verfasst (Thomas Fischer: Die Suche nach dem guten Gesetz vom 8.11.2017, über „Zeit Online“ nachzulesen). Zum Thema der fehlenden Dokumentation hat der Kollege Eberhardt Kempf in der „Zeit“ am 4.2.2018 einen guten Artikel veröffentlicht (Eberhardt Kempf: Eine Frage der Macht vom 4.2.2018, ebenfalls über „Zeit Online“ nachzulesen). Wenn Sie den Artikel von Herrn Professor Fischer lesen, dann ist es schon erstaunlich, wie viele Anliegen des Strafkammertages durchgesetzt wurden und wie wenige der Expertenkommission, die der damalige Justizminister Maaß eingesetzt hatte, umgesetzt wurden.

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