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Wo sitzen Deutschlands mildeste/härteste Richter?

Zu einer Studie von Volker Grundies zum Thema „Regionale Unterschiede in der gerichtlichen Sanktionspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Eine empirische Analyse“

von Thomas Röth

Im Jahre 2018 hat Volker Grundies, der am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht forscht, eine Studie zum oben angegebenen Thema veröffentlicht (Grundies, Volker: Regionale Unterschiede in der gerichtlichen Sanktionspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Eine empirische Analyse, in Hermann, D. und Töge, A. (Hrsg.): Kriminalsoziologie. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, 1. Auflage, Baden-Baden, Seite 295 bis 316, zur Presse über diese Studie, siehe z. B. Spiegel.de, „Wo Deutschlands strengste Richter sind“). In seinem informativen Artikel beschreibt Grundies zunächst Forschungen seit Einführung des reichsweiten Strafgesetzbuches über regionale Unterschiede in der Sanktionspraxis. So gab es 1907 und 1931 sowie dann vorwiegend in den 70er Jahren und 1980 bereits Forschungen hierzu. Immer wurde festgestellt, dass es regionale Differenzen gibt, über deren Ursachen Streit herrscht und viele Punkte ins Feld geführt werden (Fortschreibung bestehender Traditionen bereits vor Einführung des StGB/organisationsbezogene Anpassungsmechanismen, wie z. B. Beförderungsentscheidungen, intrinsische Motivation von Richtern, berufungs- und revisionsfeste Entscheidungen zu treffen, Konformitätsdruck für eine „richtige“ Entscheidung im Sinne des sprengelbezogenen Gleichheitsgrundsatzes, Vergleich ausschließlich mit Entscheidungen der näheren Umgebung etc.).

2016 wurde eine Studie zur Legalbewährung am Max-Planck-Institut durchgeführt. Es ging dabei um sämtliche Erledigungen nach dem StGB aus den Jahren 2004, 2007 und 2010. Herangezogen wurden die Eintragungen aus diesen Jahren im Bundeszentralregister. Diese Bundeszentralregisterdaten hat nun Volker Grundies für seine Studie verwandt, und zwar nur für das Erwachsenenstrafrecht. Straßenverkehrsdelikte und Asyl- bzw. Ausländergesetzstraftaten blieben, sofern sie als schwerstes Delikt im Bundeszentralregister aufgeführt waren, außen vor. Die Eintragungen im Bundeszentralregister enthalten folgende Informationen: Alter, Geschlecht und Nationalität des Abgeurteilten, das oder die verübten Delikte, die verhängte Strafe sowie die im Bundeszentralregister noch gespeicherte Legalbiografie. Es handelte sich um insgesamt gut 1,5 Mio. Entscheidungen aus diesen drei Jahren. Er weist auf die Probleme mit diesen „abstrakten“ Eintragungen hin (manchmal ist es unklar, ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt, manchmal kann man nicht sagen wie schwer zum Beispiel eine Körperverletzung war). Er hat die regionalen Differenzierungen anhand der abstrakten Strafdauer bestimmt. Das heißt, bei Geldstrafen zählte nur die Anzahl der verhängten Tagessätze (nicht deren Höhe) und bei Freiheitsstrafen nur ihre Dauer (ohne Differenzierung nach mit oder ohne Bewährung). Er hat diese Daten dann wie folgt strukturiert: nach Deliktschwere (Strafrahmen des schwersten Delikts, insgesamt 18 Kategorien), nach Deliktsart (schwerstes Delikt, 28 Kategorien), nach zwei Indikatoren für mehrere Delikte sowie Tateinheit bzw. Tatmehrheit; er erfasste weitere Normen des Strafgesetzbuches – Milderung, Beihilfe, Anstiftung, Mittäterschaft, verminderte Schuldfähigkeit, Vollrausch und Versuch – und mit drei Variablen die Legalbiografie, nämlich nach Alter, Geschlecht und Nationalität sowie nach Gericht (Amtsgericht oder Landgericht). Weiter flossen dann weitere Verfahren in die Errechnung der regionalen Differenzen nach Gerichtsbezirken ein.

Volker Grundies kommt in einer ersten Gesamtschau zu folgendem Ergebnis: In 17,5 % der Gerichtsbezirke werden im Mittel um mindestens 10 % kürzere Strafen verhängt als im Bundesdurchschnitt. Umgekehrt werden in 21 % der Gerichtsbezirke um mindestens 10 % längere Strafen verhängt. Es kann auch noch deutlich größere Abweichungen geben. Im Mittel differieren zwei zufällig ausgewählte Gerichtsbezirke um 15 % in der Dauer der verhängten Strafe (bei gleichem Delikt und Legalbiografie). Es wurde hierzu auch eine Karte gefertigt, die im Internet veröffentlich ist (siehe Anhang). Grundies fragt sich im Anschluss, ob diese regionale Differenzierung auch für die einzelnen Deliktsarten so richtig ist. Die Tendenz bleibt auch dort erhalten, kann jedoch nach Deliktsarten auch abnehmen z. B. bei BTM-Delikten. Er untersucht dann weiter die Verurteilungen an Landgerichten versus derjenigen an Amtsgerichten und kann auch im Vergleich der OLG Bezirke hinsichtlich landgerichtlicher erstinstanzlicher Entscheidungen regionale Differenzen ausmachen.

Als nächstes untersuchte er die Aussetzung von Freiheitsstrafen zur Bewährung. Die Freiheitsstrafen machten einen Anteil an allen Delikten im Untersuchungszeitraum von 22 % aus. Er nahm sich dazu die Kategorie „Raub“ und wertete zunächst die ca. 14.000 Entscheidungen für die Jahre 2004, 2007, 2010 mit Raub aus dem BZR aus. Er konnte schon in der Sanktionspraxis Unterschiede ausmachen. Als nächstes schaute er sich dann die Aussetzung zur Bewährung an. Im bundesweiten Durchschnitt wurden bei Raub ca. 48 % der Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Es zeichnete sich im Großen und Ganzen ein Nord-Süd-Gefälle ab. Grundies beschäftigt sich dann noch mit der Einstellung der Verfahren durch die Staatsanwaltschaft und schlussendlich mit der zeitlichen Stabilität regionaler Differenzierungen und stellt fest, dass es auf Amtsgerichtsebene gewisse Veränderungen gibt, auf Landgerichts- bzw. OLG-Bezirksebene jedoch, auch im Vergleich mit Studien von früher, eher nicht.

Er kommt zu dem Fazit, dass es deutliche geografische Muster in der Sanktionspraxis gibt, erwähnt insbesondere Oberbayern mit ca. 25 % längeren Strafen als in Baden (bei gleichem Delikt und gleicher Legalbiografie). Er erklärt dies mit den einzelnen übergeordneten Ebenen der Land- und Oberlandesgerichtbezirke bzw. deren Organisationsstruktur und Revisionsinstanz. Grundies konnte auch feststellen, dass die regionalen Differenzen bei deliktspezifischer Betrachtung im Wesentlichen deliktsunabhängig sind, will sagen, da wo man härter sanktioniert, sanktioniert man auch über alle Delikte hinweg härter.

Die Betrachtung der Sanktionspraxis hinsichtlich der Bewährung führte zu der Erkenntnis, dass die geografischen Muster der Strafdauer (welche Strafe wird überhaupt verhängt?) unabhängig ist von der Aussetzung von der Bewährungsentscheidung. Regionale Muster und Abweichungen voneinander sind jedoch hier auch eindeutig feststellbar (auch dazu gibt es im Internet eine Karte). Es gibt auch keinen Zusammenhang zwischen staatsanwaltschaftlicher/gerichtlicher Einstellungspraxis und dem geografischen Muster hinsichtlich der Sanktionsdauer.

Die Studie bestätigt also die regionalen Unterschiede und Volker Grundies mutmaßt am Ende seiner Ausführungen, dass, nähme man den gesamten Prozess von der Anzeige bis zur Verurteilung in den Blick, sich die durch diese Untersuchungen bestätigten Differenzen noch verstärkt zeigen würden.

Fazit 

Wer im Strafrecht tätig ist und das bundesweit, sollte vielleicht vor einer Einschätzung des Strafmaßes gegebenenfalls einen Blick in die Karten werfen, um sich nicht durch Moabit den Blick trüben zu lassen. Im Übrigen ist Berlin bei so gut wie allen Untersuchungen mit Kartenmaterial in der Regel im Mittelfeld.

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