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Mollath

Der Besprechung des Buches von Rechtsanwalt Strate und des Films ist ursprünglich in der Septemberausgabe des BERLINER ANWALTSBLATT erschienen.

Ein Film und ein Buch über den Fall

Der Verfasser hat vor kurzem den Film „Mollath – und plötzlich bist du verrückt“ gesehen und das Buch von Gerhard Strate „Der Fall Mollath“ (erschienen 2014 beim Orell Füssli Verlag, 19,95 €, ISBN 978-3-280-05559-5) gelesen.

Rechtsanwalt Thomas Roeth im Aufzug
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Thomas Röth

Zum Film

Der Film dauert 93 Minuten und kam am 09. Juli 2015 in die Kinos. Regie führten Frau Leonie Stade und Frau Annika Blendel. Produziert wurde der Film unter anderen vom Bayrischen Rundfunk und der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Die beiden Regisseurinnen wurden durch einen Zeitungsartikel im Jahre 2013 auf Herrn Mollath aufmerksam und durften ihn einige Monate filmisch begleiten.
Im Mittelpunkt des Filmes steht Herr Mollath selbst, der bei Demonstrationen zu seinen Gunsten, während diverser Autofahrten, in Wohnungen und auf der Straße in Hannover, Berlin, München und anderswo gezeigt wird. Im Übrigen kommen auch sein Verteidiger, Rechtsanwalt Strate, zwei eher Mollath-kritische Journalisten (unter anderem eine Journalistin vom Spiegel) und ein Freund Mollaths in dem Film zu Wort. Es geht hierbei nicht um eine institutionelle Aufarbeitung des „Skandals“.

Insofern ist auch nachvollziehbar, dass trotz des Titels kein Psychiater in dem Film zu sehen ist. Sehr gut der Vorspann: Man sieht einen Kosmonauten in einer wüstenähnlich anmutenden Gegend und ein Sprecher erzählt aus dem Off: „Stelle dir vor, du bist in einem fremden Land gewesen, in dem noch nie jemand war, und du kommst zurück und sollst nunmehr von diesem Land, von dem außer dir niemand etwas weiß, den anderen etwas erzählen.“ Daran hält sich der Film: Mollath erzählt von seinem Aufenthalt im Bezirkskrankenhaus Bayreuth, unter anderem davon, dass er öfters in seiner Zelle miterleben musste, wie andere Insassen ohne Anlass gefesselt, malträtiert wurden. Er steht am Familiengrab, welches, ohne dass er etwas davon erfuhr, aufgelöst wurde und nunmehr ein leerer, nur mit Gras überwachsener Platz ist. Insgesamt hinterlässt Herr Mollath einen gefassten, an Gerechtigkeit interessierten Eindruck. Manchmal meint man, dass ganze Passagen auswendig gelernt worden sind, manchmal hält man ihn für besserwisserisch und manchmal für unsicher. Die Freunde, der Anwalt und die Journalistin sollen in dem Film weitere Perspektiven zur Person aufzeigen. Strate z. B. meint, dass Mollath schon ein störrischer Kerl sei und dies ihn leider in, aber auch Gott sei Dank wieder aus der Psychiatrie gebracht habe. Insgesamt ein schöner Film um sich der Person Mollath anzunähern.

Zum Buch von Gerhard Strate

Während der Film sich ganz auf die Person Mollath konzentriert, fokussiert das Buch von Gerhard Strate die Justiz und die Psychiatrie anhand des Falles Mollath und stellt – wie es der Untertitel sagt – das Versagen beider fest. Das Buch ist in 20 Kapiteln unterteilt und geht im Großen und Ganzen chronologisch vor (vom Beginn der Streitigkeiten zwischen den Eheleuten Mollath bis hin zum Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren). Einige Kapitel sind Exkurse zum Zustand und der Qualität der Psychiatrie. Das Buch ist allgemein verständlich und flüssig geschrieben, zeugt von stupender Sachbeherrschung, die den Leser nicht mit Fakten erschlägt, sondern strukturiert die Geschichte aufbereitet. Insbesondere ist hervorzuheben, dass der Kollege Strate bei Kritik und Lob immer seine Kriterien hinzufügt. Seiner Darstellung wurde Einseitigkeit vorgeworfen. Dies kann der Verfasser nicht teilen, da sowohl die leider mehrheitlich unprofessionell als auch die wenigen professionell Handelnden beschrieben werden.

Das Buch gibt Einblicke in die Schludrigkeit, Untätigkeit und das Unwissen vieler beteiligter Staatsanwälte und Richter (z. B. Anklage wegen Briefdiebstahls und Verletzung des Briefgeheimnisses, obwohl weder die Briefe angeeignet noch geöffnet wurden; Erlass eines vorläufigen Unterbringungsbefehles: Mollath wird festgenommen und in die Anstalt verbracht: Vorführung vor den Richter erst drei Wochen später).Das Buch berichtet umfassend von den ersten Streitigkeiten der Eheleute über das arbeitsgerichtliche Verfahren der Ex-Frau Mollaths, über die Strafanzeigen, über die Begutachtungen und dergleichen. Das Schöne ist, dass man beim Lesen den Eindruck hat, dem sich in die Akten einarbeitenden Wiederaufnahmeverteidiger Strate bei der Akten-Lektüre über die Schulter zu schauen. Es ergeben sich so sehr viele Wahrnehmungen, Fragen, Unterlassungen des Gerichts, die einem bei der Lektüre zusammen mit dem Verfasser Strate auffallen. Das besondere für den Unterzeichner in diesem Buch ist, dass man sich dem schwierigen Feld der Psychiatrie hier praktisch nähern kann.

Sämtliche Dokument des Falles Mollath (Urteile, Beschlüsse, psychiatrische Gutachten, Hauptverhandlungsprotokolle usw.) sind auf der Webseite des Kollegen Strate (www.strate.net) dokumentiert, sodass man die Zitate und Analysen des Kollegen Strate anhand der Dokumente überprüfen und nachvollziehen kann. Insbesondere der Psychiatrie wirft er Folgendes vor: Sie sei gekennzeichnet von einem Pathologisierungswahn gepaart mit einer Therapierbarkeit von allem und jedem. Welche Anknüpfungstatsachen aus der Akte bzw. dem Explorationsgespräch ein Psychiater nehme, sei vollkommen beliebig, und es sei bloß vom Zufall abhängig, ob er aus diesen Anknüpfungstatsachen eine Normalität oder etwas „Krankhaftes“ herauslese („Wird der Psychiater in den persönlichen Eigenheiten des Gegenübers lediglich eine ‚akzentuierte Persönlichkeit‘ erkennen oder aber eben eine ‚wahnhafte Störung‘ attestieren? Ist der Betreffende einfach nur ‚normalpsychologisch erklärbar stur‘ oder aber leidet er an einer ‚querulatorischen Störung‘ mit forensisch-psychiatrischem ‚Abklärungsbedarf‘“?, S. 67f). Strate wird grundlegender und führt aus, dass ein Auftrag, das Wesen eines Menschen zu erkunden, wohl nur in einem freiwilligen Patienten-Arzt-Verhältnis möglich sein dürfte, wozu das regelmäßige Machtgefälle zwischen Psychiater und Proband nicht geeignet ist. Er stellt des Weiteren fest, dass bei Verdacht auf Schuldunfähigkeit/Vorliegen der Vorrausetzungen des § 63 StGB im Mollath-Fall – und das sei generalisierbar – die Feststellungen zur Straftat nur noch lax betrieben werden (können).

Anhand der vielen vorliegenden psychiatrischen Gutachten (zur Schuldunfähigkeit bzw. § 63 danach in regelmäßigen Turnus vor der Strafvollstreckungskammer) zeigen alle eine ständige Perpetuierung, durch Bezugnahme auf die vorherigen Gutachten. Eine rühmliche Ausnahme, und diesem ist das Buch auch gewidmet, stellt der Sachverständige dar, der über die Geschäftsfähigkeit wegen drohender Betreuung zu entscheiden hatte. Ihm gelang es fast als Einzigem, Herrn Mollath zu einem Gespräch zu bewegen, und er konnte keine Störungen im Sinne der ICD-10 feststellen. Höchst interessant dann, wie sich Professor Kröber mittels seines Gutachtens vor der Strafvollstreckungskammer mit diesem Gutachten später auseinandersetzt. Viele Facetten des Buches müssen in dieser Besprechung außen vor bleiben, u. a. die ewige Etikettierung durch die Psychiatrie (auch nach einem Freispruch); Gedanken zur Kontrolle der Psychiatrie; Hinweis auf Wilfried Rasch, Willi Schumacher und die „ethische Festigkeit“ im Gegensatz zur vom Gericht erwarteten Anpassungsfähigkeit/Unkenntnis der Richter am Beispiel des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 09. Oktober 2001, wonach eine zwangsweise erfolgende Unterbringung eines Menschen zur Beobachtung verfassungswidrig ist, wenn die Unterbringung mangels Explorationsbereitschaft des Betroffenen ihr Ziel nicht erreichen kann, und trotzdem Jahre später angeordnet wurde.

Kleine beckmesserische Kritik: Ein Namensregister wäre schön gewesen, ebenso eine tabellarisch-chronologische Übersicht über die Stationen der verschiedenen Verfahren. Leider fehlt auch jegliche Aussage zur Arbeit der Pflichtverteidiger, bevor Kollege Strate mandatiert wurde. Auf Seite 161 gibt es einen kleinen Rechtschreibfehler (einem Psychiater statt Psychiatern), Kollege Strate hat das Mandat pro bono übernommen und wurde erst nach Niederlegung des Wahlverteidigermandates im Wiederaufnahmeverfahren vom Gericht zum Pflichtverteidiger bestellt (interessant auch hierzu seine Ausführungen aus den wörtlichen Mittschriften in den Wiederaufnahmeverhandlungen, die sämtlich auf der Website dokumentiert sind: siehe derzeit den Fall Tschäpe). Insofern mag es hinnehmbar sein, dass auf dem Cover des Buches groß der Kollege Strate abgebildet ist, ebenso auf dem hinteren Einbandumschlag.

Fazit

Sollte der Fall Mollath als pars pro toto für die Qualität der Justiz und Psychiatrie in Deutschland stehen dürfen (bis auf wenige Ausnahmen, die im Fall selbst geschildert werden), stünde es schlecht um sie. Es geht immer wieder um die genaue Sachverhaltserfassung und -aufklärung. Es ist erschreckend wie häufig anhand dieses Falles die beteiligten Juristen und Psychiater genau dies unterlassen haben. Das Ideal anteilnehmender Sorgfalt war nicht gegeben. Es gibt keinen rechtsfreien Raum, alles ist richterlich zu kontrollieren. Wer diesen Richtervorbehalt ernst nimmt (und nicht als grundgesetzliches Verwaltungsübel), der muss die Richter ständig fortbilden, ihnen Zeit für die Fälle lassen, damit z. B. insbesondere die Aufgabe des Gerichts, Gutachten kritisch zu würdigen (z. B. auch durch Nachfragen in der Verhandlung), sich von der Richtigkeit des Gutachtens zu überzeugen und dies nachvollziehbar im Urteil zu begründen, möglich ist. So erzählt Strate von einem Psychiater, der, als Mollath ihn auf seine Rechte hinwies, ihm deswegen eine „Paralogik“ attestierte. Alles in allem: Wer interessiert ist am Zustand der Justiz und am Zustand der Psychiatrie, wer interessiert ist an einer wahrnehmungsfähigen Erkenntnis und fragenreichen Aufarbeitung des Justizskandales, wer an praktischer Aufklärung über die Vorgehensweise der Psychiatrie (nebst daraus zu gewinnenden eingehenden Erkenntnissen und Verteidigungsmöglichkeiten) interessiert ist, der lese dieses Buch.

Vielleicht ein wenig pathetisch, deshalb fürs Ende ein Zitat vom Kollegen Strate:

Die Aufgabe des Strafverteidigers ist es, Vertrauen zu schenken, wo es jeder verweigert, Mitgefühl zu entfalten, wo die Gefühle erstorben sind, Zweifel zu sehen, wo sie keiner mehr hat und Hoffnung zu pflanzen, wo sie längst verflogen war.

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