Zugang zum Inhaftierten
Verzögerung bei Anbahnung wegen Nichterteilung eines Sprechscheins?

Immer wieder, auch in der aktuellen Rechtspraxis in der Bundesrepublik, wird Verteidigern der Zugang zu in U-Haft Inhaftierten verwehrt. Sie sind noch nicht mandatiert, sondern sollen ein Anbahnungsgespräch zwecks Mandatserteilung führen.
Häufig kommt es vor, dass nicht der spätere Mandant selbst einen mandatiert, sondern Eltern, Lebensgefährten usw. des Festgenommenen sich melden und um Kontakt zum Mandanten bitten. Hier ist sinnvoll, möglichst schnell Zugang zum Mandanten zu bekommen (eventuell soll er demnächst vernommen werden und Sie wollen dies verhindern, ihm Sicherheit geben und die Sach- und Rechtslage einschätzen, das Mandat bekommen😉). Selbstverständlich könnten Sie auch alle anderen Wege beschreiten, also dem zukünftigen Mandanten einen Brief in die JVA schicken (voraussichtlich Kontrolle, aber bei schlichtem Anschreiben mit Vollmacht wohl eher kein Problem); das wird aber zu lange dauern.
Das ist kein Problem, wenn es keine Sprechscheinpflicht gibt, sondern allgemeiner Zugang möglich ist. Es ist ein Problem, wenn Sie vor einem Besuch einen Sprechschein beantragen müssen (Anordnung haftgrundbezogener Beschränkungen gem. § 119 StPO) und Ihnen die Staatsanwaltschaft antwortet, dazu müsse zunächst einmal der etwaige zukünftige Mandant befragt werden, man könne jetzt hierüber nicht entscheiden. Was tun?
Die StPO regelt in § 137 Absatz 1 StPO, dass der Beschuldigte sich in jeder Lage des Verfahrens einer oder mehrerer Verteidiger bedienen kann. Sie regelt in § 142 Absatz 5, dass er insoweit ein Wahlrecht hat, und § 148 regelt, dass zwischen Verteidiger und Mandant ungehinderte Kommunikation möglich sein muss. Einschränkungen der Besuchserlaubnis gem. § 119 dürfen nur der Abwehr einer realen Gefahr der Haftzwecke bzw. nach den Landesjustizvollzugsgesetzen nur bei Gefährdung der Sicherheit und Ordnung im konkreten Einzelfall angeordnet werden. Schutz vor aufdringlichen Anwälten fällt nicht darunter, siehe König, StV 2011, 704–707.
Wenn also bereits das Anbahnungsgespräch (noch ist kein Mandat begründet, keine Vollmacht unterschrieben) in den Schutzbereich des § 148 StPO fallen würde, wäre die Verweigerung eines Sprechscheins rechtswidrig. Dieser Ansicht neigt das Landgericht Darmstadt (siehe StV 2003, S. 628) zu. Viele weitere Gerichte sind jedoch nicht dieser Auffassung, insbesondere z.B. das OLG Hamm (siehe Beschluss v. 19.11.2024, Az: III-3 Ws 385/24) oder das OLG Hamm in einer Entscheidung v. 29.12.2009, Aktenzeichen: 3 Ws 504/09 (beide im Netz). Sehr ausführlich der der letztgenannten Entscheidung vorausgegangene Beschluss des LG Bielefeld v. 7.12.2009 (3 KLs 58/09 (AK 16/09, im Netz zu finden).
Die Rechtsprechung differenziert hier fein wie folgt:
Sollte der zukünftige Mandant bereits seiner Lebensgefährtin/den Eltern (wer halt auch immer vor oder während der Festnahme in der Nähe war) bereits Vollmacht/einen Auftrag für das Auf(s)suchen und Benennen eines Verteidigers für ein Anbahnungsgespräch gegeben haben, dann ist dem nachzugehen. Es wäre also für Sie als Verteidiger wichtig, die Leute, die Ihnen ein Anbahnungsmandat erteilen, zu fragen, ob der zukünftige Mandant bereits Auftrag hierzu erteilt hat und dies in dem Antrag auf Erteilung eines Sprechscheins mitzuteilen.
Wenn dem nicht so ist (also der zukünftige Mandant keinen Auftrag gegeben hat), dann bleibt Ihnen nur, auf ein Anbahnungsgespräch zu dringen und die Entscheidung des Landgerichts Darmstadt zu zitieren. Wenn der Mandant noch keinen Anwalt hat, müssen Sie auf Eile Wert legen. Sie müssten dann täglich anrufen und nachfragen, was denn nun ist. Bei noch unverteidigten Mandanten dürfte es die Pflicht der Strafverfolgungsbehörden sein, unverzüglich Ihrem Antrag auf Erteilung eines Sprechscheins durch Rückfrage beim Mandanten nachzugehen. Sollte sie dies nicht tun und Sie Ihre Anfragen dokumentieren (zeitlich), dann könnte das zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Der Verstoß gegen die o.a. Normen ist dann offensichtlich.
Sollte der Mandant bereits verteidigt sein und einen weiteren bzw. anderen wünschen, ist dem nachzugehen (voraussichtlich weniger dringlich). Für den Fall, dass es keinen Auftrag der „Familie“ (s.o.) für einen weiteren Anwalt gibt, müssen Sie mit dem OLG Hamm (s.o. vom 29.12.2009) davon ausgehen, dass Sie keinen Sprechschein bekommen werden. Die Rechtsprechung sieht dies als Versuch für ein „Anbiederungsgespräch“ an und verneint einen Anspruch des Anwaltes, der allerdings ein eigenes Recht auf Erteilung eines Sprechscheins hat (also ein Verfahren auf Erteilung in Gang setzen kann). In diesem Fall sollten Sie auf § 137 und das Wahlrecht aus § 142 Absatz 5 StPO hinweisen und klarmachen, dass das ein Verstoß gegen diese Rechte des zukünftigen Mandanten ist.
Wenn immer möglich – egal in welcher Konstellation – sollten Sie, sofern es stimmt, mitteilen, dass der zukünftige Mandant um den Besuch eines Anwalts weiß und eben den bei der Festnahme Anwesenden den Auftrag hierzu erteilt hat.
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