Bauliche Veränderungen in der WEG
Liebert & Röth Rechtsanwälte, wir machen Baurecht in Berlin & bundesweit
Bauliche Veränderungen in Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) gehören zu den häufigsten Streitthemen unter Miteigentümern. Die WEG-Reform von 2020 (mehr zur Reform hier: WEG-Reform 2020) hat hier grundlegende Änderungen gebracht, die sowohl neue Möglichkeiten eröffnen als auch klare Grenzen setzen.
Als Fachanwälte für Wohnungseigentumsrecht erläutern wir Ihnen, was Sie als Wohnungseigentümer wissen müssen.
Was sind bauliche Veränderungen nach § 20 WEG?
Bauliche Veränderungen sind gemäß § 20 Abs. 1 WEG alle Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum, die über die ordnungsgemäße Erhaltung hinausgehen. Entscheidend ist, dass es sich um eine langfristige Umgestaltung handelt, die das Erscheinungsbild oder die Substanz der Wohnanlage verändert.
Wichtige Abgrenzung:
Reine Erhaltungsmaßnahmen wie die Reparatur eines defekten Dachs oder der Austausch kaputter Fenster gelten nicht als bauliche Veränderungen, sondern als Instandhaltung bzw. Instandsetzung.
Kategorien baulicher Veränderungen
Drei Hauptkategorien lassen sich unterscheiden:
1. Energetische Sanierungsmaßnahmen:
- Modernisierung der Heizungsanlage
- Dämmungsmaßnahmen an der Gebäudehülle
- Einbau energiesparender oder klimafreundlicher Heizungsanlagen
- Erneuerung von Fenstern zur Energieeinsparung
2. Privilegierte Maßnahmen (§ 20 Abs. 2 WEG):
- Barrierefreiheit (Personenaufzug, Treppenlift, Rampen)
- Installation von Ladestationen für Elektrofahrzeuge
- Maßnahmen zum Einbruchschutz
- Anschluss an hochleistungsfähige Telekommunikationsnetze
3. Substanzeingriffe:
- Balkonanbau oder -verglasung
- Wanddurchbrüche
- Anbringen einer Markise
- Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum
Privilegierte bauliche Veränderungen: Neue Rechte seit 2020
Die WEG-Reform hat bestimmte Maßnahmen als "privilegiert" eingestuft. Hier haben Wohnungseigentümer einen Rechtsanspruch auf Durchführung, wenn die Maßnahme angemessen ist. Dies betrifft:
- Barrierefreiheit: Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen
- Elektromobilität: Ladestationen für E-Fahrzeuge (Wallboxen)
- Einbruchsschutz: Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmanlagen
- Telekommunikation: Glasfaseranschlüsse
- Stromerzeugung: Nutzung von Steckersolargeräten (Balkonkraftwerken)
Entscheidende Neuerung: Bei privilegierten Maßnahmen entscheiden die Wohnungseigentümer nur noch über das "Wie", nicht mehr über das "Ob" der Durchführung.
Beschlussfassung und Mehrheitserfordernisse
Seit der Reform gelten vereinfachte Mehrheitserfordernisse:
Einfache Mehrheit genügt für:
Alle baulichen Veränderungen (früher war Einstimmigkeit bzw. Zustimmung aller Betroffenen erforderlich)
Modernisierende Instandhaltungsmaßnahmen
Qualifizierte Mehrheit (2/3 plus Hälfte der Miteigentumsanteile) für:
Bauliche Veränderungen, deren Kosten alle Eigentümer tragen sollen
Wichtig: Privilegierte Maßnahmen können ohne Mehrheitsbeschluss verlangt werden, müssen aber dennoch in der Eigentümerversammlung behandelt werden.
Grenzen baulicher Veränderungen
Nicht jede gewünschte bauliche Veränderung ist zulässig. § 20 Abs. 4 WEG setzt klare Grenzen:
- Keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage - Eine grundlegende Umgestaltung liegt vor, wenn die charakteristische Gestaltung der Immobilie unverhältnismäßig stark verändert wird. Dies ist eine hohe Hürde - der Gesetzgeber geht davon aus, dass privilegierte Maßnahmen typischerweise keine grundlegende Umgestaltung darstellen.
- Keine unbillige Benachteiligung einzelner Eigentümer - Eine unbillige Benachteiligung liegt vor, wenn ein Eigentümer durch die Maßnahme so beeinträchtigt wird, dass seine Wohnungseigentumsrechte stärker eingeschränkt werden als die des Antragstellers.
Aktuelle BGH-Rechtsprechung: Wegweisende Urteile vom 9. Februar 2024
Der Bundesgerichtshof hat in zwei wichtigen Urteilen die Anwendung des neuen § 20 WEG präzisiert:
Fall 1 - Aufzugseinbau in denkmalgeschütztem Gebäude: Der BGH (BGH V ZR 244/22) bestätigte den Anspruch auf Einbau eines Außenaufzugs am Hinterhaus einer denkmalgeschützten Wohnanlage. Entscheidend war, dass privilegierte bauliche Veränderungen typischerweise mit Eingriffen in die Bausubstanz und optischen Veränderungen einhergehen - dies begründet regelmäßig keine Unangemessenheit.
Fall 2 - Barrierefreier Gartenzugang: Hier ging es um eine Terrassenaufschüttung mit Rampe als barrierefreien Zugang. Der BGH (BGH V ZR 33/23) stellte klar: Wenn die Mehrheit eine privilegierte Maßnahme gestattet, muss nur noch geprüft werden, ob die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG (grundlegende Umgestaltung, unbillige Benachteiligung) eingehalten sind.
Kostenverteilung: Wer zahlt was?
Die Kostentragung folgt klaren Regeln:
Grundsatz § 21 Abs. 1 WEG: Der antragstellende Wohnungseigentümer trägt die Kosten allein und erhält im Gegenzug die ausschließliche Nutzung.
Ausnahmen - Kostentragung durch alle Eigentümer:
- Bei qualifizierter Mehrheit: Beschluss mit mehr als 2/3 der Stimmen und der Hälfte aller Miteigentumsanteile, sofern die Kosten nicht unverhältnismäßig sind
- Bei Amortisation: Einfach mehrheitlich beschlossene Maßnahmen, wenn sich die Kosten in angemessener Zeit (typisch: 10 Jahre) amortisieren
- Modernisierende Erhaltungsmaßnahmen: Diese werden grundsätzlich von allen getragen
Verfahrensablauf bei baulichen Veränderungen
- Antragstellung - Der interessierte Wohnungseigentümer stellt einen formlosen Antrag bei der Verwaltung.
- Tagesordnung - Die Verwaltung setzt den Beschlussvorschlag auf die Tagesordnung der nächsten Eigentümerversammlung.
- Beschlussfassung - Die Eigentümerversammlung entscheidet über die Maßnahme. Bei privilegierten Maßnahmen kann das "Wie" durch Auflagen geregelt werden.
- Durchführung - Nach positivem Beschluss kann die Maßnahme unter Beachtung der Auflagen durchgeführt werden.
Gestaltungsmöglichkeiten der Wohnungseigentümer
Bei der Beschlussfassung über das "Wie" haben die Wohnungseigentümer erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten:
- Technische Vorgaben: Material, Ausführungsart, Standort
- Verfahrensvorgaben: Nutzung von Fachfirmen, Kostenvoranschläge
- Sicherheiten: Haftpflichtversicherung, Rückbausicherheit
- Denkmalschutz: Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften
Wichtig: Die Auflagen dürfen den Anspruch auf privilegierte Maßnahmen nicht faktisch vereiteln.
Anfechtung von Beschlüssen
Beschlüsse über bauliche Veränderungen können angefochten werden, wenn:
- Die Wohnanlage grundlegend umgestaltet wird (§ 20 Abs. 4 WEG)
- Einzelne Eigentümer unbillig benachteiligt werden (§ 20 Abs. 4 WEG)
- Das Verfahren fehlerhaft war
Frist: Die Anfechtung muss binnen eines Monats nach der Eigentümerversammlung erfolgen. Bei Beschlussersetzungsklagen beträgt die Verjährungsfrist für Rückbauansprüche drei Jahre ab Kenntnisnahme.
Nachzügler-Regelung: Später einsteigen möglich
§ 21 Abs. 4 WEG ermöglicht es Eigentümern, nachträglich in bauliche Veränderungen "einzusteigen":
- Anteilige Kostenbeteiligung an der ursprünglichen Maßnahme
- Übernahme der laufenden Betriebs- und Erhaltungskosten
- Beschluss der Eigentümerversammlung erforderlich
Dies ist besonders relevant bei Aufzügen oder Ladestationen, die später von weiteren Eigentümern genutzt werden sollen.
Besonderheiten bei Menschen mit Behinderungen
Für Menschen mit Behinderungen gelten erweiterte Rechte:
- Weiter Behinderungsbegriff: Umfasst körperliche, geistige, seelische und Sinnesbeeinträchtigungen
- Vorbeugende Maßnahmen: Anspruch besteht auch ohne aktuelle Behinderung
- Erhöhte Zumutbarkeit: Bei Behinderung müssen andere Eigentümer größere Nachteile hinnehmen
Beispiele für Barrierefreiheit:
- Einbau von Aufzügen oder Treppenliften
- Rampen im Eingangsbereich
- Rollatorenboxen
- Handläufe und Markierungen
- Verbreiterung von Türen
Praktische Handlungsempfehlungen
Für Antragsteller:
- Rechtzeitige und umfassende Information der Miteigentümer
- Einholung qualifizierter Kostenvoranschläge
- Prüfung öffentlich-rechtlicher Genehmigungen
- Bei Ablehnung: Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung
Für die Gemeinschaft:
- Sachliche Prüfung der Angemessenheit
- Konstruktive Auflagen statt grundsätzlicher Verweigerung
- Dokumentation des Abstimmungsverhaltens
- Rechtliche Beratung bei komplexen Fällen
Fazit: Neue Rechtslage erfordert Umdenken
Die WEG-Reform 2020 hat das Recht der baulichen Veränderungen grundlegend modernisiert. Wohnungseigentümer haben heute deutlich erweiterte Rechte, insbesondere bei privilegierten Maßnahmen. Gleichzeitig sind die Verfahren komplexer geworden.
Unser Rat: Lassen Sie sich frühzeitig rechtlich beraten, bevor Konflikte entstehen. Eine professionelle Begleitung kann sowohl Antragstellern als auch Wohnungseigentümergemeinschaften helfen, die neuen Möglichkeiten optimal zu nutzen und rechtliche Risiken zu minimieren.
Bei Fragen zu baulichen Veränderungen in Ihrer Wohnungseigentümergemeinschaft stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung.
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