Darlehensaufnahme durch Wohnungseigentümergemeinschaften
Liebert & Röth Rechtsanwälte, wir machen Baurecht und WEG-Recht in Berlin & bundesweit
Rechtssichere Finanzierung größerer Baumaßnahmen
Wenn die Fassade bröckelt, das Dach undicht wird oder eine energetische Sanierung ansteht, stehen Wohnungseigentümergemeinschaften oft vor erheblichen Finanzierungsherausforderungen. Nicht selten übersteigen die Kosten solcher Maßnahmen die vorhandenen Rücklagen bei weitem.
In solchen Situationen kann die Aufnahme eines Darlehens durch die Wohnungseigentümergemeinschaft eine sinnvolle Lösung sein. Doch viele Verwalter und Eigentümer sind unsicher, ob und unter welchen Voraussetzungen dies rechtlich möglich ist.
Grundsätzliche Zulässigkeit der Darlehensaufnahme
Die gute Nachricht vorweg: Der Bundesgerichtshof hat in mehreren wegweisenden Entscheidungen klargestellt, dass Wohnungseigentümergemeinschaften grundsätzlich berechtigt sind, Darlehen aufzunehmen. Dies gilt sowohl für kurzfristige als auch für langfristige Finanzierungen.
Zentrale BGH-Entscheidungen:
- BGH-Urteil vom 28.09.2012 (BGH V ZR 251/11): Grundsätzliche Zulässigkeit der Kreditaufnahme
- BGH-Urteil vom 25.09.2015 (BGH V ZR 244/14): Zulässigkeit auch langfristiger, hoher Darlehen
Die Wohnungseigentümer haben nach § 19 Abs. 1 WEG die Kompetenz, über eine Darlehensaufnahme zu beschließen, um den Finanzbedarf der Gemeinschaft zu decken. Dabei fungiert die Wohnungseigentümergemeinschaft als rechtsfähiger Verband und wird selbst Vertragspartnerin des Kreditinstituts.
Wichtiger Hinweis: Die Wohnungseigentümer können jedoch nicht durch Beschluss festlegen, dass sie persönlich als Gesamtschuldner haften sollen. Eine solche Mithaftung kann nur durch individuelle Verpflichtungserklärungen der einzelnen Eigentümer entstehen.
Voraussetzungen für eine rechtswirksame Beschlussfassung
Einfacher Mehrheitsbeschluss genügt
Für die Beschlussfassung über eine Darlehensaufnahme ist lediglich ein einfacher Mehrheitsbeschluss erforderlich. Ein besonderes Quorum oder gar Einstimmigkeit ist nicht notwendig. Dies erleichtert die Entscheidungsfindung erheblich und ermöglicht auch bei unterschiedlichen Auffassungen in der Eigentümerschaft eine Finanzierung dringend erforderlicher Maßnahmen.
Ordnungsgemäße Verwaltung als Grundvoraussetzung
Die zu finanzierende Maßnahme muss den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Eine Kreditaufnahme kann niemals ordnungsgemäß sein, wenn bereits die zu finanzierende Maßnahme selbst diesen Grundsätzen widerspricht. Dies bedeutet konkret:
- Die Maßnahme muss im Interesse der Gemeinschaft liegen
- Sie muss erforderlich und angemessen sein
- Das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen muss stimmen
Prüfung alternativer Finanzierungsmöglichkeiten
Bevor eine Darlehensaufnahme beschlossen werden kann, müssen alternative Finanzierungsmöglichkeiten sorgfältig geprüft werden. Dies ist nicht nur rechtlich geboten, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.
Rückgriff auf die Erhaltungsrücklage
Zunächst ist zu prüfen, ob die geplante Maßnahme aus vorhandenen Mitteln der Erhaltungsrücklage finanziert werden kann. Dabei sind folgende Aspekte zu beachten:
- Zweckbindung beachten: Die Erhaltungsrücklage ist grundsätzlich nur für Erhaltungsmaßnahmen bestimmt, nicht für bauliche Veränderungen nach § 20 Abs. 1 WEG
- Angemessenheit prüfen: Übersteigen die angesammelten Beträge das Maß der Angemessenheit, kann auch auf diese zugegriffen werden
- Künftige Erhaltungsmaßnahmen berücksichtigen: Es muss gewährleistet bleiben, dass vorhersehbare Erhaltungsmaßnahmen finanziert werden können
Finanzierung durch Sonderumlage
Als Alternative zur Darlehensaufnahme kommt die Erhebung einer Sonderumlage in Betracht. Diese Möglichkeit ist besonders dann zu prüfen, wenn:
- Die Wohnungseigentümer kurzfristig die erforderlichen Beiträge leisten können
- Eine jahresübergreifende Sonderumlage mit zinsgünstiger Anlage möglich ist
- Die Kosten einer Sonderumlage unter den Darlehenskosten liegen würden
Praxis-Tipp: Auch bei zinsgünstigen KfW-Krediten ist eine Sonderumlage häufig die wirtschaftlich günstigere Lösung.
Allerdings sind bestimmte öffentliche Fördermittel an eine Darlehensaufnahme geknüpft.
Anforderungen an das Darlehen und Entscheidungsprozess
Umfassende Angebotsprüfung erforderlich
Vor der Beschlussfassung muss der Verwalter verschiedene Finanzierungsangebote einholen und vergleichen. Dabei gelten ähnliche Anforderungen wie bei anderen größeren Maßnahmen:
- Mindestens drei Vergleichsangebote von verschiedenen Kreditinstituten
- Darstellung der wesentlichen Konditionen (Zinssatz, Laufzeit, Sicherheiten)
- Aufzeigung der Gesamtkosten der Finanzierung
- Berücksichtigung möglicher Fördermittel
Wesentliche Vertragsinhalte festlegen
Der Beschluss muss alle wesentlichen Aspekte der Finanzierung regeln:
- Darlehenssumme: Exakte Höhe oder Höchstbetrag
- Laufzeit: Bestimmte oder bestimmbare Laufzeit
- Zinssatz: Fester Zinssatz oder Zinsobergrenze
- Tilgungsmodalitäten: Art und Höhe der Tilgung
- Umgang mit Selbstzahlern: Regelung für Eigentümer, die vorab zahlen möchten
Risikoaufklärung und Dokumentation
Vor der Beschlussfassung müssen alle Wohnungseigentümer umfassend über die mit der Darlehensaufnahme verbundenen Risiken aufgeklärt werden. Diese Aufklärung muss im Protokoll dokumentiert werden und umfasst:
- Das Haftungsrisiko bei Zahlungsausfällen einzelner Eigentümer
- Die Nachschusspflicht der übrigen Eigentümer
- Die langfristige finanzielle Belastung
- Die Auswirkungen möglicher Eigentümerwechsel
Haftungsregelungen bei WEG-Darlehen
Haftung der Wohnungseigentümergemeinschaft
Als rechtsfähiger Verband wird die Wohnungseigentümergemeinschaft Vertragspartnerin des Kreditinstituts und haftet primär für alle Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag. Das Kreditinstitut kann im Falle der Zwangsvollstreckung auf folgende Vermögenswerte zugreifen:
- Gemeinschaftliches Geldvermögen der WEG
- Ansprüche gegen einzelne Wohnungseigentümer auf Hausgeldzahlung
- Guthaben aus Sonderumlagen
- Erhaltungsrücklage
Haftung der einzelnen Wohnungseigentümer
Zusätzlich zur Haftung der Gemeinschaft haften die einzelnen Wohnungseigentümer nach § 9a Abs. 4 Satz 1 WEG unmittelbar gegenüber dem Kreditinstitut. Diese Haftung ist jedoch beschränkt auf die Höhe des jeweiligen Miteigentumsanteils.
Praxisbeispiel:
Bei einem Kredit von 100.000 EUR haftet ein Eigentümer mit einem Miteigentumsanteil von 50/1000 persönlich für höchstens 5.000 EUR gegenüber der Bank.
Nachschusspflicht im Innenverhältnis
Besonders problematisch kann die Nachschusspflicht der Wohnungseigentümer im Innenverhältnis werden. Fallen einzelne Eigentümer mit ihren Zahlungen aus, müssen die übrigen Eigentümer diese Ausfälle über Sonderumlagen ausgleichen. Diese Nachschusspflicht ist dem Grunde nach unbegrenzt und stellt ein erhebliches finanzielles Risiko dar.
Besondere Regelungen für Selbstzahler
Berechtigung zur Vorabzahlung
Finanzkräftige Wohnungseigentümer haben häufig kein Interesse an einer langfristigen Kreditfinanzierung. Ohne dass ein Rechtsanspruch bestünde, kann ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, ihren Anteil an den Finanzierungskosten vorab zu zahlen. Dies hat den Vorteil, dass:
- Das Darlehen entsprechend reduziert werden kann
- Die Zinsbelastung für die Gemeinschaft sinkt
- Die Selbstzahler von der Darlehenshaftung befreit werden können
Haftungsfreistellung einzelner Eigentümer
Die Freistellung von der Haftung nach § 9a Abs. 4 WEG kann nicht durch Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft erfolgen. Eine solche Freistellung bedarf vielmehr der ausdrücklichen Zustimmung des Kreditinstituts.
Praktische Umsetzungsmöglichkeiten:
- Reduzierung der Darlehenssumme um den Betrag der Selbstzahler
- Einräumung von Sondertilgungsrechten mit gleichzeitiger Haftungsbefreiung
- Separate vertragliche Vereinbarungen zwischen WEG, Bank und Selbstzahlern
Wichtiger Hinweis: Auch bei einer Befreiung von der Außenhaftung bleibt die Binnenhaftung gegenüber der Gemeinschaft bestehen, sofern nicht anders geregelt.
Praktische Durchführung der Darlehensaufnahme
Vorbereitung durch den Verwalter
Eine erfolgreiche Darlehensaufnahme erfordert eine sorgfältige Vorbereitung:
- Ausarbeitung der Finanzierungsmaßnahme: Detaillierte Kostenplanung mit beschlussreifen Angeboten
- Einholung von Darlehensangeboten: Vergleich verschiedener Kreditinstitute
- Prüfung von Fördermöglichkeiten: Einbeziehung von KfW-Mitteln oder regionalen Förderprogrammen
- Erstellung einer Belastungsübersicht: Darstellung der monatlichen Kosten je Wohneinheit
Informationsveranstaltung empfehlenswert
Vor der eigentlichen Beschlussfassung sollte eine separate Informationsveranstaltung durchgeführt werden. Dies ermöglicht es den Eigentümern, Fragen zu stellen, ohne dem Druck einer unmittelbaren Entscheidung ausgesetzt zu sein.
Mischfinanzierung als bewährtes Modell
In der Praxis hat sich eine Kombination aus verschiedenen Finanzierungsquellen bewährt:
- Teilfinanzierung aus vorhandenen Rücklagen
- Erhebung einer Sonderumlage mit festem Zahlungstermin
- Darlehensaufnahme für den verbleibenden Bedarf
- Flexible Regelung für Selbstzahler
Vor- und Nachteile von WEG-Darlehen
Vorteile der Darlehensfinanzierung
Liquiditätsschonung: Auch Eigentümer mit begrenzten finanziellen Mitteln können notwendigen Maßnahmen zustimmen, da die Belastung über Jahre verteilt wird.
Flexibilität: Unvorhergesehene Kostensteigerungen können leichter aufgefangen werden als bei einer starren Sonderumlage.
Planbarkeit: Monatliche Raten ermöglichen eine bessere Budgetplanung für die Eigentümer.
Fördermittelzugang: Viele Förderprogramme setzen eine Darlehensfinanzierung voraus.
Nachteile und Risiken
Höhere Gesamtkosten: Durch Zinsen und Nebenkosten ist die Darlehensfinanzierung meist teurer als eine Sofortfinanzierung.
Haftungsrisiken: Die unbegrenzte Nachschusspflicht kann zu erheblichen finanziellen Belastungen führen.
Langfristige Bindung: Das Darlehen "klebt" an den Wohneinheiten und muss auch bei Eigentümerwechseln weitergeführt werden.
Begrenzte Anbieterauswahl: Da WEG-Darlehen nicht grundbuchlich abgesichert werden können, bieten nur wenige Banken entsprechende Produkte an.
Rechtssichere Beschlussfassung - Checkliste für die Praxis
Für eine anfechtungssichere Beschlussfassung sollten folgende Punkte beachtet werden:
Vor der Versammlung:
- Umfassende Prüfung alternativer Finanzierungsmöglichkeiten
- Einholung von mindestens drei Vergleichsangeboten
- Erstellung einer detaillierten Kostenaufstellung
- Prüfung möglicher Fördermittel
In der Versammlung:
- Ausführliche Aufklärung über alle Risiken
- Dokumentation der Risikoaufklärung im Protokoll
- Eindeutige Formulierung des Beschlusses
- Aufnahme einer Bestandskraft-Klausel
Nach der Versammlung:
- Abwarten der Bestandskraft des Beschlusses
- Erst dann Vertragsabschluss mit dem Kreditinstitut
- Laufende Überwachung der Zahlungseingänge
Fazit und Empfehlungen
Die Darlehensaufnahme durch Wohnungseigentümergemeinschaften ist ein bewährtes und rechtlich abgesichertes Finanzierungsinstrument. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die grundsätzliche Zulässigkeit auch langfristiger und hoher Darlehen bestätigt. Dennoch erfordert eine rechtssichere Umsetzung eine sorgfältige Vorbereitung und Beachtung aller rechtlichen Anforderungen.
Besonders wichtig ist die umfassende Aufklärung aller Beteiligten über die mit der Darlehensaufnahme verbundenen Risiken. Die unbegrenzte Nachschusspflicht kann zu erheblichen finanziellen Belastungen führen, wenn einzelne Eigentümer zahlungsunfähig werden.
Unsere Empfehlung: Lassen Sie sich vor einer geplanten Darlehensaufnahme rechtlich beraten. Wir unterstützen Sie gerne bei der Vorbereitung der Beschlussfassung, der Prüfung der Vertragsunterlagen und der rechtssicheren Umsetzung Ihres Finanzierungsvorhabens.
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