Das Notwegerecht in Deutschland
Was ist das Notwegerecht und wann kommt es zum Tragen?
Das Notwegerecht ist ein wichtiger Bestandteil des Nachbar- und Grundstücksrechts und in den §§ 917, 918 BGB verankert.
Es gewährt Eigentümern eines sogenannten "gefangenen" oder "Inselgrundstücks" die Möglichkeit, über ein Nachbargrundstück zu gehen oder zu fahren, wenn ihr eigenes Grundstück keine Verbindung zu einem öffentlichen Weg besitzt.
In § 917 Abs. 1 BGB heißt es:
"Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Wege, so kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden."
Das Notwegerecht kommt also immer dann zum Tragen, wenn ein Grundstück ohne die Nutzung eines fremden Grundstücks nicht ordnungsgemäß zugänglich und damit nicht nutzbar wäre. Dies kann sowohl dauerhaft als auch vorübergehend der Fall sein, etwa wenn ein Grundstück durch Bauarbeiten vorübergehend nicht zugänglich ist.
Voraussetzungen für das Notwegerecht
Damit ein Notwegerecht zugesprochen wird, müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein:
- Fehlende Verbindung zu einem öffentlichen Weg: Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn der vorhandene Zugang zu schmal, vorübergehend nicht nutzbar oder nur teilweise mit der Straße verbunden ist.
- Notwendigkeit für eine ordnungsgemäße Nutzung: Die Nutzung des Nachbargrundstücks muss für die ordnungsgemäße Benutzung des eigenen Grundstücks zwingend erforderlich sein.
- Antragstellung durch den Eigentümer oder Erbbauberechtigten: Nur Eigentümer oder Erbbauberechtigte können ein Notwegerecht verlangen, nicht jedoch Mieter oder Pächter (BGH, Urteil v. 05.05.2006, Az. V ZR 139/05).
- Einbeziehung aller relevanten Grundstückseigentümer: Das Notwegerecht muss ausdrücklich bei allen Grundstückseigentümern eingefordert werden, die zwischen dem betroffenen Grundstück und der öffentlichen Verkehrsfläche liegen.
- Gemeinsames Verlangen bei Miteigentum: Gehört das unzugängliche Grundstück mehreren Personen, müssen alle Grundstückseigentümer gemeinsam das Notwegerecht verlangen (BGH, Urteil v. 07.07.2006, Az. V ZR 159/05).
Wichtig zu beachten ist zudem, dass kein Notwegerecht besteht, wenn die fehlende Verbindung des Grundstücks mit einem öffentlichen Weg auf eine willkürliche Handlung des Eigentümers zurückzuführen ist (§ 918 Abs. 1 BGB).
Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Eigentümer die bisherige Zufahrt zu seinem Grundstück selbst zugebaut hat oder wenn er den Teil des Grundstücks verkauft hat, über den bisher der Zugang erfolgte.
Was umfasst das Notwegerecht konkret?
Der Umfang des Notwegerechts wird stets fallbezogen bestimmt und soll den Eigentümer des belasteten Grundstücks nicht mehr als notwendig einschränken. Folgende Punkte sind dabei zu beachten:
- Erforderliche Breite und Verlauf des Notweges: Diese werden individuell festgelegt.
- Zeitliche Beschränkung: Das Notwegerecht gilt nur, bis eine eigene Anbindung an einen öffentlichen Weg geschaffen wurde.
- Nutzungsumfang: Je nach Einzelfall kann auch die Befahrung mit Fahrzeugen gestattet sein, insbesondere bei gewerblicher Nutzung oder landwirtschaftlichen Flächen.
- Berücksichtigung körperlicher Einschränkungen: Diese können bei der Entscheidung über das Befahren mit Fahrzeugen eine Rolle spielen.
In einer wegweisenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 14. März 2025 (Az. V ZR 79/24) klargestellt, dass das Notwegerecht auch die Zufahrt mit Kraftfahrzeugen zum Zwecke des Parkens auf dem verbindungslosen Wohngrundstück umfasst.
Der BGH argumentierte, dass es nicht darauf ankommen könne, zu welchem Zweck der Notwegberechtigte sein Grundstück mit dem Kraftfahrzeug anfährt. Die Nutzung des eigenen Grundstücks, einschließlich der Entscheidung, dort zu parken, stehe ihm gemäß § 903 Satz 1 BGB frei.
Pflichten des Notwegberechtigten
Wer ein Notwegerecht in Anspruch nimmt, hat auch bestimmte Pflichten zu erfüllen:
- Entstehung, Instandhaltung und Pflege des Notweges:
- Verkehrssicherungspflicht
- Räumpflicht
- Streupflicht
- Kostentragung: Der Notwegberechtigte trägt die Kosten für die Unterhaltung des Notweges. Wird dieser allerdings auch vom Eigentümer des belasteten Grundstücks genutzt, teilen sich beide die Kosten.
- Zahlung einer Notwegrente: Gemäß § 917 Abs. 2 BGB ist der Eigentümer des belasteten Grundstücks durch eine angemessene Geldrente zu entschädigen. Diese ist in der Regel jährlich im Voraus zu entrichten.
Die Notwegrente: Höhe und Berechnung
Die Höhe der Notwegrente bemisst sich an der Beeinträchtigung, die der Eigentümer des belasteten Grundstücks durch die Nutzung des Notweges erfährt, also an der Minderung des Verkehrswertes seines Grundstücks. Da diese Minderung oft schwer zu beziffern ist, kann im Streitfall ein Sachverständiger hinzugezogen werden.
In seinem Urteil vom 14. März 2025 (Az. V ZR 79/24) hat der BGH zudem festgestellt, dass bei einer intensiveren Nutzung des Notweges, etwa zum Überfahren mit dem PKW zum Zwecke des Parkens, eine entsprechend höhere Notwegrente zu zahlen ist. Im konkreten Fall wurde die Rente von jährlich 267 Euro auf 313 Euro erhöht.
Rechtliche Durchsetzung des Notwegerechts
Verweigert der Nachbar die Einräumung eines Notweges, kann der Eigentümer des gefangenen Grundstücks sein Notwegerecht einklagen. Das Gericht prüft dann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei werden unter anderem folgende Aspekte berücksichtigt:
- Auswahl des belasteten Grundstücks: Kommen mehrere Grundstücke für das Notwegerecht in Frage, entscheiden Gesichtspunkte der Effektivität und einer möglichst geringen Belastung sowie historisch gewachsene Gegebenheiten über die Auswahl des mit dem Notwegerecht belasteten Grundstücks (LG Lübeck, Urteil v. 18.8.2023, Az. 3 O 309/22).
- Abwägung der beiderseitigen Interessen: Die Belastung des dienenden Grundstücks soll so gering wie möglich gehalten werden, während gleichzeitig eine sinnvolle Nutzung des herrschenden Grundstücks gewährleistet sein muss.
Praxistipps für Grundstückseigentümer
Als Rechtsanwaltskanzlei für Immobilienrecht empfehlen wir Grundstückseigentümern folgende Vorgehensweise:
- Beim Grundstückskauf: Achten Sie bereits beim Kauf einer Immobilie auf die Zugangssituation. Lassen Sie sich rechtlich beraten, wenn es hier Unklarheiten gibt.
- Bei fehlendem Zugang: Versuchen Sie zunächst, eine einvernehmliche Lösung mit dem Nachbarn zu finden. Bieten Sie eine angemessene Entschädigung an.
- Bei Verweigerung des Nachbarn: Konsultieren Sie einen spezialisierten Anwalt, um Ihre Erfolgschancen bei einer Klage einschätzen zu lassen.
- Bei Gewährung des Notwegerechts: Halten Sie sich strikt an den festgelegten Umfang des Notwegerechts und erfüllen Sie Ihre Pflichten zur Instandhaltung und Entschädigung.
- Bei Verkauf oder Teilung Ihres Grundstücks: Sorgen Sie dafür, dass alle entstehenden Grundstücksteile eine eigene Zufahrt haben oder räumen Sie entsprechende Wegerechte ein.
Häufige Missverständnisse rund um das Notwegerecht
Abschließend möchte ich einige häufige Missverständnisse rund um das Notwegerecht aufklären:
- Gewohnheitsrecht existiert nicht: Es gibt kein Notwegerecht aus Gewohnheit. Auch wenn der Nachbar die Nutzung seines Grundstücks jahrelang geduldet hat, kann er diese Duldung jederzeit widerrufen, sofern kein gesetzliches Notwegerecht besteht oder eine entsprechende Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist.
- Unbequeme Zugänge rechtfertigen kein Notwegerecht: Eine umständliche oder unbequeme Verbindung zur Straße oder ein größerer Umweg rechtfertigen in der Regel kein Notwegerecht (OLG Karlsruhe, Urteil v. 28.07.2010, Az. 6 U 105/08).
- Notwegerecht ist nicht automatisch im Grundbuch verankert: Ein Notwegerecht steht nicht grundsätzlich im Grundbuch. Es kann aber als Grunddienstbarkeit in Abteilung II des Grundbuchs eingetragen werden.
- Notwegerecht ist nicht identisch mit Wegerecht: Während das Notwegerecht eine gesetzliche Notlösung darstellt, wenn ein Grundstück keine Verbindung zu einem öffentlichen Weg hat, kann ein Wegerecht auch vertraglich vereinbart werden, ohne dass eine solche Notlage vorliegt.
Fazit
Das Notwegerecht ist ein wichtiges Instrument, um die Nutzbarkeit von Grundstücken ohne eigenen Zugang zu einem öffentlichen Weg zu gewährleisten.
Es stellt einen Ausgleich her zwischen dem Interesse des Eigentümers an der Nutzung seines Grundstücks und dem Interesse des Nachbarn am ungestörten Genuss seines Eigentums.
Die rechtlichen Regelungen sind komplex und einzelfallbezogen, weshalb bei Fragen rund um das Notwegerecht stets rechtlicher Rat eingeholt werden sollte.
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