Sondernutzungsrechte im Wohnungseigentumsrecht: Ihre Rechte und Pflichten als Wohnungseigentümer
Ein Leitfaden von RA Martin Liebert der Liebert & Röth Rechtsanwälte PartmbB.
Liebert & Röth Rechtsanwälte, wir machen Baurecht und WEG-Recht in Berlin & bundesweit
Das Sondernutzungsrecht ist eines der wichtigsten Instrumente im Wohnungseigentumsrecht, um individuelle Nutzungsbedürfnisse innerhalb einer Eigentümergemeinschaft zu regeln.Es ermöglicht einzelnen Wohnungseigentümern die exklusive Nutzung bestimmter Teile des Gemeinschaftseigentums und kann den Wert einer Immobilie erheblich steigern.
In diesem Artikel erläutern wir Ihnen alle wichtigen Aspekte der Sondernutzungsrechte und zeigen auf, worauf Sie als Wohnungseigentümer achten sollten.
Was ist ein Sondernutzungsrecht? - Die rechtlichen Grundlagen
Das Sondernutzungsrecht, gesetzlich geregelt in § 5 Abs. 4 Satz 2 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG), ist die Befugnis eines Wohnungseigentümers, bestimmte Teile des Gemeinschaftseigentums allein zu nutzen und andere Miteigentümer von der Nutzung auszuschließen. Obwohl der Gesetzgeber bei den großen Reformen des WEG-Rechts 2007 und 2020 bewusst auf eine Definition verzichtet hat und das Sondernutzungsrecht als "Schöpfung der Rechtspraxis" bezeichnet, haben sich durch die Rechtsprechung klare Konturen entwickelt.
Ein Sondernutzungsrecht hat zwei wesentliche Komponenten:
- Positive Komponente: Der Berechtigte darf die Fläche allein nutzen
- Negative Komponente: Alle anderen Wohnungseigentümer sind von der Nutzung ausgeschlossen
Das Sondernutzungsrecht ermöglicht es, ähnliche Verhältnisse zu schaffen wie beim Sondereigentum, ohne dass eine vollständige Eigentumsübertragung stattfindet.
Die betreffenden Flächen bleiben rechtlich Gemeinschaftseigentum, unterliegen aber einer speziellen Nutzungsregelung.
Abgrenzung zum Sondereigentum - Wichtige Unterschiede verstehen
Ein häufiger Stolperstein in der Praxis ist die Verwechslung von Sondernutzungsrecht und Sondereigentum. Die Unterschiede sind jedoch fundamental:
Sondereigentum:
- Vollständiges Eigentum an bestimmten Gebäudeteilen
- Bis zur WEG-Reform 2020 nur an abgeschlossenen Räumen möglich
- Freie Verfügungsbefugnis (im Rahmen der gesetzlichen Grenzen)
- Automatische Übertragung bei Wohnungsverkauf
Sondernutzungsrecht:
- Nur Nutzungsbefugnis, kein Eigentum
- Auch an nicht abgeschlossenen Flächen möglich
- Begrenzte Verfügungsbefugnis (keine baulichen Veränderungen ohne Genehmigung)
- Nicht unabhängig vom Sondereigentum übertragbar auf Dritte
Mit der WEG-Reform vom 1. Dezember 2020 können nunmehr auch Freiflächen wie Terrassen oder Stellplätze als Sondereigentum begründet werden (§ 3 Abs. 2 WEG). Dies hat die praktische Bedeutung von Sondernutzungsrechten teilweise verändert, aber nicht beseitigt.
Begründung von Sondernutzungsrechten - Die zwei Wege zum Sondernutzungsrecht
Sondernutzungsrechte können auf zwei Arten begründet werden:
Ursprüngliche Begründung
Die häufigste Form ist die Begründung bereits bei Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft durch die Teilungserklärung. Hier werden die Sondernutzungsrechte klar definiert und den jeweiligen Wohnungseigentümern zugeordnet.
Nachträgliche Begründung
Eine nachträgliche Begründung ist nur durch einstimmige Vereinbarung aller Wohnungseigentümer möglich. Diese Vereinbarung muss notariell beurkundet werden.
Ein Mehrheitsbeschluss reicht nicht aus, da allen anderen Eigentümern ihr Mitgebrauchsrecht am Gemeinschaftseigentum entzogen wird.
Wichtig: Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 20. September 2000 (Az. V ZB 58/99) klargestellt, dass die Wohnungseigentümer keine Beschlusskompetenz haben, das allen zustehende Recht zur Nutzung des Gemeinschaftseigentums durch Mehrheitsbeschluss zu entziehen.
Ausnahme Öffnungsklausel: Eine Begründung durch Mehrheitsbeschluss ist nur möglich, wenn die Gemeinschaftsordnung eine spezifische Öffnungsklausel enthält, die dies ausdrücklich gestattet.
Typische Anwendungsfälle - Wo Sondernutzungsrechte sinnvoll sind
Sondernutzungsrechte kommen in der Praxis bei verschiedenen Arten von Flächen und Einrichtungen zum Einsatz:
Häufige Beispiele:
- Gartenanteile und Terrassen
- PKW-Stellplätze und Garagen
- Kellerabteile und Dachbodenflächen
- Balkone (bei besonderen Konstellationen)
- Schwimmbäder oder Saunen
- Teile der Außenfassade für Werbezwecke
- Fahrradabstellplätze
- Waschküchen zu bestimmten Zeiten
Besonderheit bei Balkonen: Ein Sondernutzungsrecht an Balkonen ist grundsätzlich nicht möglich, da diese in der Regel zum Sondereigentum der jeweiligen Wohnung gehören. Teile des Balkons, die für die Gebäudesicherheit oder das Gesamtbild wichtig sind, verbleiben jedoch im Gemeinschaftseigentum.
Rechte des Sondernutzungsberechtigten - Was Ihnen zusteht
Als Inhaber eines Sondernutzungsrechts haben Sie verschiedene Befugnisse:
Exklusive Nutzung
Sie dürfen die Ihnen zugewiesene Fläche unter Ausschluss aller anderen Wohnungseigentümer nutzen. Dies bedeutet, dass nur Sie (und Ihre Mieter oder Besucher mit Ihrer Erlaubnis) die Fläche betreten und nutzen dürfen.
Ertragsberechtigung
Ihnen stehen auch die Erträge aus dem Sondernutzungsrecht zu. Haben Sie beispielsweise ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz, können Sie diesen vermieten und die Mieteinnahmen behalten. Bei einem Garten gehören Ihnen die dort angebauten Früchte und das geerntete Gemüse.
Schutz vor Beeinträchtigungen
Werden Sie in der Ausübung Ihres Sondernutzungsrechts gestört oder behindert, können Sie von der Eigentümergemeinschaft oder einzelnen Störern Unterlassung und gegebenenfalls Schadensersatz verlangen.
Grenzen und Pflichten - Was Sie beachten müssen
Das Sondernutzungsrecht ist nicht grenzenlos. Es bestehen klare Beschränkungen und Pflichten:
Bauliche Veränderungen
Grundsätzlich sind bauliche Veränderungen an der Sondernutzungsfläche ohne Zustimmung der anderen Eigentümer nicht erlaubt.
Erlaubt sind nur:
- Temporäre Veränderungen (Aufstellen von Möbeln, Blumentöpfen)
- Geringfügige Maßnahmen (Schaukel, Sandkasten im Garten)
- Änderungen, die ausdrücklich vereinbart wurden
Rücksichtnahmegebot
Die Nutzung darf anderen Wohnungseigentümern keinen über das unvermeidbare Maß hinausgehenden Nachteil verursachen (§ 14 Abs. 1 WEG). Dies umfasst:
- Lärmbelästigung vermeiden
- Sichtbeeinträchtigungen minimieren
- Keine radikale Umgestaltung des Gesamtbildes
Zweckbindung
Das Sondernutzungsrecht ist zweckgebunden. Ein Stellplatz darf nur zum Parken genutzt werden, nicht als Lagerplatz oder für andere Zwecke.
Kosten und Instandhaltung - Wer zahlt was?
Die Kostentragung bei Sondernutzungsrechten folgt besonderen Regeln:
Grundsatz
Da die Sondernutzungsfläche rechtlich Gemeinschaftseigentum bleibt, ist grundsätzlich die Eigentümergemeinschaft für Instandhaltung und Instandsetzung verantwortlich. Auch die Verkehrssicherungspflicht liegt bei der Gemeinschaft.
Praktische Lösung
In der Praxis wird jedoch meist vereinbart, dass der Sondernutzungsberechtigte die Kosten trägt für:
- Laufende Instandhaltung und Pflege
- Kleinere Reparaturen
- Reinigung und Bewirtschaftung
- Gegebenenfalls auch größere Instandsetzungsmaßnahmen
Tipp: Sorgen Sie für klare Regelungen in der Sondernutzungsvereinbarung, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.
Neue Rechtslage nach der WEG-Reform 2020
Das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) hat wichtige Änderungen gebracht:
Faktische Sondernutzungsrechte durch Beschluss
Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 4. Juli 2023 (Az. 1 S 5214/23 WEG) entschieden, dass die alte BGH-Rechtsprechung, wonach Beschlüsse über bauliche Veränderungen, die zu einem faktischen Sondernutzungsrecht führen, unwirksam sind, nicht mehr gilt.
Nach den neuen §§ 20, 21 WEG können nun faktische Sondernutzungsrechte durch Beschluss entstehen, insbesondere bei privilegierten Maßnahmen wie:
- Barrierereduzierung
- Elektromobilität
- Einbruchschutz
- Glasfaserausbau
Individualansprüche
Jeder Eigentümer hat unabhängig vom Willen der Mehrheit einen Anspruch auf diese privilegierten Maßnahmen, sofern sie angemessen sind.
Übertragung und Beendigung von Sondernutzungsrechten
Übertragung bei Wohnungsverkauf
Ist das Sondernutzungsrecht im Grundbuch eingetragen, geht es automatisch auf den neuen Eigentümer über. Ohne Grundbucheintragung wirkt es nur zwischen den ursprünglich beteiligten Parteien.
Isolierte Übertragung
Eine Übertragung des Sondernutzungsrechts ohne die zugehörige Wohnung ist grundsätzlich nicht möglich. Sondernutzungsrechte können nur innerhalb der Eigentümergemeinschaft und nur zusammen mit dem Sondereigentum übertragen werden.
Beendigung
Ein Sondernutzungsrecht kann beendet werden durch:
- Einstimmige Vereinbarung aller Wohnungseigentümer
- Freiwilliger Verzicht des Berechtigten
- Zeitablauf (bei befristeten Rechten)
- Aufhebung wegen schwerwiegender Pflichtverletzungen
Aktuelle Rechtsprechung - Was Gerichte entscheiden
Beschlusskompetenz bei Sondernutzungsflächen
Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg (Az. 980b C 15/23 WEG) hat in einem vielbeachteten "Kirschbaum-Urteil" entschieden, dass Eigentümergemeinschaften keine Beschlüsse über Sondernutzungsflächen fassen können, wenn in der Teilungserklärung geregelt ist, dass für Sondernutzungsrechte "das gleiche wie für Sondereigentum" gilt.
Konsequenz: Selbst die Zustimmung des betroffenen Eigentümers kann die Nichtigkeit eines solchen Beschlusses nicht heilen.
Privilegierte Maßnahmen
Bei privilegierten Maßnahmen nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 WEG (z.B. Barrierefreiheit) besteht ein Anspruch auf Genehmigung, soweit die Maßnahme angemessen ist. Die Angemessenheitsprüfung ist ein unbestimmter, aber voll justiziabler Rechtsbegriff ohne Ermessensspielraum für die Eigentümerversammlung.
Fazit und Empfehlungen für die Praxis
Sondernutzungsrechte sind ein bewährtes und wertvolles Instrument im Wohnungseigentumsrecht, das individuelle Nutzungsbedürfnisse mit den Interessen der Gemeinschaft in Einklang bringt. Durch die WEG-Reform haben sich neue Möglichkeiten eröffnet, gleichzeitig sind aber auch neue Rechtsfragen entstanden.
Unsere Empfehlungen:
- Prüfen Sie bei Wohnungskauf genau, welche Sondernutzungsrechte bestehen
- Achten Sie auf eine klare Grundbucheintragung
- Vereinbaren Sie eindeutige Regelungen zu Kosten und Instandhaltung
- Lassen Sie sich bei geplanten baulichen Veränderungen rechtlich beraten
- Informieren Sie sich über Ihre Rechte bei privilegierten Maßnahmen
Bei Fragen zu Sondernutzungsrechten oder Streitigkeiten in der Eigentümergemeinschaft stehen Ihnen die Rechtsanwälte von Liebert & Röth mit ihrer langjährigen Expertise im Wohnungseigentumsrecht gerne zur Verfügung.
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